Schlappe Schleife. Die neue Bildmarke von McFit

Die Firma McFit hat ein Problem. Das zeigt die neue Bildmarke, die sich McFit zugelegt hat.
Sie verrät uns mehr, als dem Unternehmen lieb sein dürfte.

McFit betreibt mit über 170 Sportstudios und über einer Million Mitgliedern die größte Sportstudiokette Europas. Eine Million zahlender Mitglieder – das ist viel. Ich muss bei dieser Größenordnung an den Deutschen Flottenverein denken, hinter dem eine ganze Volksbewegung stand. Auch McFit hat eine Affinität zu Volksbewegungen: Leibesübungen für alle und rund um die Uhr. Sport ohne Wellness, für knapp zwanzig Euro im Monat. Duschen kostet extra. Das ist ein klares, minimalistisches Konzept. Die Aufbaujahre waren trotzdem hart. McFit ist mit viel Arbeit und Diskretion großgeworden. Als es geschafft war, wollte sich Unternehmensgründer Rainer Schaller mit einem Ausflug in den neuen Geschäftszweig Massentrance belohnen.

Dieser Ausflug, der mit dem Kauf der Markenrechte an der Loveparade begann, endete im Jahre 2010 mit der Katastrophe von Duisburg. Auch für Schaller war das sicher ein schwer zu verkraftender Schicksalsschlag. Seitdem ist sein Gesicht aus der Unternehmenswerbung verschwunden. Bis heute wird aber noch der letzte Winkel eines Studios mehr oder weniger laut beschallt. Und  dann die Videos. Mitschnitte von selbstmörderischen Luftübungen im Hochgebirge oder direkt unter den Wolken flimmern Tag und Nacht als Endlosschleifen über alle Bildschirme.

Die Unternehmensführung verbindet ganz selbstverständlich sportliche Betätigung mit optisch-akustischer Gehirnwäsche. Und nun die neue Bildmarke. Um zu zeigen, in welcher Liga McFit mitspielen könnte, sei hier an bekannte Signets wie die Muschel des Ölkonzerns Shell oder den eleganten Kranich der Lufthansa erinnert (wobei »Lufthansa« im Unterschied zu »McFit« auch ein sehr schöner Name ist; Luft-Hansa und nicht Luf-thansa). Was hat sich McFit ausgedacht? Eine breite, gelbe Schleife auf anthrazitfarbenem Grund. Ich dacht’, ich seh’ nicht recht.

In der Außenwerbung wirkt dieses Schleifchen auf den großen, grauen Fläche sehr verloren. Zweitens erinnert es an die rote Aids-Schleife. Auch das Dienstabzeichen eines Hauptfeldwebels der Bundeswehr mag sich von ferne zu erkennnen geben. Im Unterschied zu diesen beiden Zeichen wurde die McFit-Schleife um einhundertachtzig Grad gedreht. Darüber hinaus ist der rechte Bandzipfel deutlich länger geraten als der linke, aber keiner von beiden zeigt nach oben. Vielmehr wurden beide Enden nach unten abgeknickt. Aufmerksame Leser dieses Logbuchs werden wissen, dass ich Richtungsweisungen für sehr bedeutsam halte. Der Pfeilcharakter des ziemlich lang und breit geratenen rechten Bandendes dominiert die neue Bildmarke sogar.

130313 mcfit logoMcFit? Die haben doch dieses Kreuz mit zwei Pfeilen. Mit einem großen Pfeil nach rechts unten. Ungefähr Südsüdost. Rechts! Wie konnte das passieren? Ich war entsetzt, aber nicht von dem »rechten« Pfeil und auch nicht von dem zu befürchtenden Missbrauch durch allerletzte Pfeilkreuzler, sondern von der Leere des Ganzen. Der Schleife fehlt jede einladende, anspornende oder aufbauende Geste. Sie hat überhaupt keinen Bezug zur Sache. Dieses dämliche Schleifchen wäre für einen Bleistift eine Beleidigung gewesen, und für einen Teebeutel erst recht. Das muss Absicht sein, dachte ich spontan.

130313 AnhängerSo war’s auch. Die freundliche Trainerin erklärte mir: Soweit sie wisse, habe man ein Logo schaffen wollen, das den Betrachter so wie wenig wie möglich einenge oder festlege. Ein Logo, bei dem jeder sich denken könne, was er wolle. Aha. Ich hätte mit Bleistift und Teebeutel vollkommen richtig gelegen. Alles wäre richtig gewesen. McFit, dachte ich, will also niemanden diskriminieren. Und weil McFit niemanden diskriminieren will, dürfen nicht einmal mehr bewegungslustige Kunden als bewegungslustige Kunden angesprochen werden. Das ist aber noch nicht alles.

130313 PfeilkreuzlerWie lautet die Standardantwort auf eine beliebige Beschwerde gegenüber einer beliebigen Kassiererin? »Dafür kann ich nichts.« – Nee, ist schon klar, so war’s ja auch nicht gemeint. Nun auch McFit. McFit ist jetzt auch mal weg. Das sagt die neue Bildmarke. Ihre Aufgabe ist es gerade nicht, bereits gewonnene Kunden anzusprechen, geschweige denn potentielle Kunden zu umwerben und zur Mitgliedschaft zu überreden. Ihre Aufgabe ist es, nicht anzusprechen und nicht zu werben. Ihre Aufgabe ist die Verweigerung von Kontakt, Gespräch und Beziehung. Zur neuen Bildmarke gibt es eine Instagramm-Kampagne unter dem Namen #DERWILLEINDIR mit Sprüchen wie: »Werde Teil von etwas Großem: Dir selbst«. McFit macht Fortbildung in Sachen Narzissmus und gibt den Spiegel gratis. Man kann jederzeit trainieren, aber die Firma hat nichts damit zu tun. Sie macht ein absichtsloses Gesicht, das da sagt: Heute gibt’s ich weiß nicht was und morgen noch viel weniger. Werde Teil von etwas Großem und koch Dir Deine Suppe selber. McFit ist keine Suppenküche, aber das ist kein Grund, das eigene Angebot symbolisch zu sabotieren. Wenn das passiert, stimmt irgendetwas nicht.

Jede bestimmte Ansprache würde eine bestimmte andere Ansprache ausschließen. Jede Ansprache würde einen Unterschied machen. Sie würde diskriminieren. Aber auch eine Aussage, die mit Aussageverweigerung einhergeht, bleibt zwangsläufig eine Aussage. In diesem Fall wurden zwei Spitzen, die nach oben hätten zeigen können, umgebogen. Oder sie hingen von vornherein dumm in der Gegend herum, weil etwas Besseres als eine schlappe Schleife oder ein Stück Designerblech gerade nicht zur Hand war. Die Mitteilung sollte schwächen, nicht stärken. Der Betrachter sollte sich weder ermutigt noch angespornt fühlen. Die Mitteilung heißt Demütigung und Depotenzierung, Unsportlichkeit und Unmännlichkeit. Männlichkeit wäre Diskriminierung von Frauen. Das geht natürlich nicht, also muss das Bandende runterhängen. Aber warum musste es überhaupt ein Bandende sein? Ein dunkler Durchblick in der Mitte wurde doch auch peinlichst vermieden.

Mein Blick wandert zu den Sprüchen der Instagramm-Kampagne weiter. Dort sehe ich eine weiße Schrift auf ebenfalls anthrazitfarbenem Grund. Mich erinnert helle Schrift auf dunklem Grund an Grabplatten. Das ist keine schöne Assoziation, aber oft die richtige. Bei Wikipedia gibt es von Rainer Schaller ein Foto, das ihn mit schwarzem Hemd und schwarzem Sakko zeigt. Schwarze Hemden wecken bei mir ähnliche Assoziationen wie invertierte Schriften. Schwarze Hemden können ansonsten auf Priestertum und auch auf Faschismus verweisen. Viele Leute, die schwarze Kleider tragen, zeigen einfach Trauer. Dass sie trauern und worum sie trauern, wissen sie oft selbst nicht.

Ich fasse zusammen: McFits Ansprache an eine Million Mitglieder besteht (neben gewiss vielen praktischen Tipps und freundlichen Trainern) aus Trauerkleidung, Grabsteinschrift, Inklusion der Kunden in sich selbst, aus Dauerfilmen mit selbstmörderischen Leibesübungen und allem voran aus einer kontaktverweigernden Bildmarke, die irgendeine diffuse, den Betrachter depotenzierende Auskunft erteilt. Die ihn in die Wüste schickt. Das maßgebliche Motiv war Antidiskriminierung. Herausgekommen ist eine Verleugnung der eigenen Kundschaft. Das maßgebliche Motiv war ferner Anpassung an den Zeitgeist. Herausgekommen ist ein »rechtes« Symbol.

Psychologisch gesprochen wird die eigene Kundschaft mit der neuen Bildmarke aus dem Blick genommen. Sie wird weggeschoben, sie wird ver-rückt. Deshalb ist es nicht übertrieben, die Verleugnung der eigenen Kundschaft als verrückt zu bezeichnen. Wir haben es mit einem Sprecher zu tun, der sich sein Gegenüber einfach wegdenkt. Das ist kein Einzelfall einer Krankheit, sondern ein Einzelfall ihrer epidemischen Ausbreitung. Diese Krankheit heißt Zeitgeist. Sie wird gewollt, und zwar bei vollem Bewusstsein.

Auch auf einem Plakat der Berliner AOK mit dem Motto »Wir sollen Sie so, wie Sie sind« guckt die Mehrzahl der sehr intim zusammenstehenden Personen, von denen man nicht weiß, ob sie einander Freunde, Familie oder Liebhaber sind, fest aneinander vorbei. Will die AOK, dass wir aneinander vorbeigucken? Es gibt ja auch Leute, die krank werden wollen. Es gibt Leute, die sich gern künstliche Probleme machen, und es gibt Leute, die den Mund nicht aufkriegen, wenn sie in der U-Bahn zuwenig Platz haben. McFit opfert dem Zeitgeist mit vorauseilendem Gehorsam seine Kundschaft. Und genau das sagt ihr die Firma etwas wehmütig, aber ziemlich offen ins Gesicht: »Seid, wie Ihr seid. Aber ob wir Euch dann noch wollen dürfen, wissen wir zur Zeit nicht so genau.«

Totalitarismus im Hosenanzug

Carl Schmitt und Ernst Forsthoff lassen grüßen: Feminismus und Frauenquote höhlen systematisch das Privatrecht aus. Noch scheint eine Quote, die zur »Homo-Ehe« nötigt, ausgeschlossen zu sein. Sie ist in der gegenwärtigen Politik aber schon angelegt.

Ein Gastbeitrag von Timotheus Kiesow

Der totale Staat trägt Uniform, Stiefel und marschiert im Gleichschritt durch die Straßen, jedenfalls in unserer Vorstellung. Er kann aber auch anders, auf hohen Absätzen daherkommen, im Hosenanzug, mit einem rosaroten Seidenschal. Dann sieht sein Werkzeug zwar freundlicher aus als eine Luger oder eine Kalaschnikow, eher wie eine Nagelfeile.

Im Prinzip stellt er aber das Gleiche damit an. Der totale Staat zerstört die Grenze zwischen der öffentlichen und der privaten Sphäre, die wichtigste Grenze in der abendländischen Zivilisation. So handhabt er auch die Frauenquote, er überträgt die Gleichbehandlung der Geschlechter, einen öffentlich-rechtlichen Grundsatz, auf private Rechtsverhältnisse. Damit stellt er die Vertragsfreiheit in Frage und untergräbt er die Privatautonomie.

Schon als der totale Staat gegen Ende der Weimarer Republik zum Thema der politischen Debatte wurde, ging es nicht um sichtbare Gewaltausübung oder Verfolgung. Es ging um Finanzausgleich, öffentliche Wohlfahrt und andere Überdehnungen der staatlichen Macht, die aus der totalen Mobilmachung im Krieg übernommen worden waren. Der Staatsrechtler Carl Schmitt schrieb 1931 über die »Wendung zum totalen Staat«, die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft gelte nicht mehr für das 20. Jahrhundert. Er schrieb es damals durchaus noch bedauernd, denn er wollte dem Staat eine eigene Sphäre des Politischen sichern.

Zur Jahreswende 1933 lobte Schmitt den »stato totalitario« des Faschismus dafür, dass er sich seine Macht nicht »unter irgendwelchen Stichworten, Liberalismus, Rechtsstaat, oder wie man es nennen will«, vermiesen lasse: »Ein solcher Staat kann Freund und Feind unterscheiden.« Wie gut er das konnte, sollte die weitere Entwicklung zeigen. Mit seiner Feinderklärung machte der Staat auch vor dem Privaten nicht mehr Halt, vor Käufer und Verkäufer nicht, nicht vor Arbeitnehmer und Arbeitgeber, ja, nicht einmal vor Gatte und Gattin.

Noch im selben Jahr 1933 spann der Verwaltungsrechtler Ernst Forsthoff die Anregungen seines Lehrers zur Skizze Der totale Staat weiter. Damit wollte er dem Nationalsozialismus die Grundzüge einer Verwaltungsform zeigen, mit der die Kommunen ihrer Autonomie beraubt und vollends dem Staat eingegliedert werden konnten. Wie bei Schmitt ist der »Feind« hier die »Gesellschaft«, die nach dem negativen Prinzip der Freiheit, »des Leben und Leben-Lassens« verfahre. Wirtschaft und Kultur, die nun dem totalen Staat unterstünden, sollten am besten von Kommissaren bestimmt werden, die zwar nach Gutdünken, aber doch im Sinne des Staates entscheiden würden.

Man muss Forsthoff zugutehalten, dass er zugleich mit der Grundlegung des totalen Staates dessen Kritik lieferte. An die nationalbolschewistischen, revolutionären Kreise in der NSDAP richtete er die Warnung, man dürfe Totalität nicht so verstehen, »als werde jetzt der Staat dazu übergehen, alle sozialen Lebensvorgänge schematisch zu reglementieren.« Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Forsthoff seine vergangene, totalitäre Polemik gegen den Rechtsstaat auf. Er verteidigte nun den Rechtsstaat gegen den Sozialstaat und prägte ein Begriffspaar, das die wichtigste politische Debatte der Bundesrepublik bestimmen sollte.

Der Rechtsstaat, so lässt sich Forsthoffs Position auf den Punkt bringen, das ist der Staat, der die Grenze zwischen privater Gesellschaft und öffentlichem Staat unangetastet lässt. Der Sozialstaat dagegen ist der totale Staat im menschenfreundlichen Gewand, er greift den Bürgern ins Eigentum und stört sie in der Ausübung ihrer Vertragsfreiheit. Und zwar, indem er den Grundrechten eine Drittwirkung aufs Private zuspricht. Die Grundrechte schützen nicht mehr (nur) den Staatsbürger vor staatlichen Eingriffen in seine Freiheit, sie verpflichten in erster Linie den Privatbürger gegenüber seinen Mitmenschen. Und der Staat wacht mit seinem Gewaltmonopol darüber, dass die Bürger untereinander die Grundrechte einhalten.

Das Recht auf Gleichbehandlung ist ursprünglich eine Forderung an den Staat, bei Gerichtsprozessen oder Wahlen keinen Unterschied zwischen Mann und Frau zu machen. Von feministischen Interessengruppen auf den Kopf gestellt, sieht es heute aus wie die Pflicht des Staates, Mann und Frau im Privatleben gleichzustellen. So widerspricht das Grundrecht mit Drittwirkung der Vertragsfreiheit, die in unserer Zivilisation grundsätzlich für private Rechtsverhältnisse gilt. Wen ich einstelle, an wen ich eine Wohnung vermiete, wen ich heirate, das ist mir überlassen – und nicht dem Inhaber des Gewaltmonopols. Mein Haus ist ebenso wie meine Firma mein privates Eigentum, mache ich davon Gebrauch, ist es mein gutes Recht, nach selbst gesetzten Kriterien zu diskriminieren.

Dass die Frauenquote gegen das Privateigentum gerichtet ist und damit gegen das Privatleben im Allgemeinen, lässt sich zunächst nicht leicht erkennen, weil sie von oben nach unten durchgesetzt wird. Die Stufenlogik ihrer Durchsetzung funktioniert – nach der neuen Richtlinie der Europäischen Kommission – wie folgt. Erstens: Der Staat behandelt Mann und Frau in der Öffentlichkeit gleich. Zweitens: Öffentliche Unternehmen müssen bis zum Jahre 2018 eine Frauenquote von 40 Prozent in Aufsichtsräten erreichen, weil sie Vorbilder sind für (drittens:) börsennotierte Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und mehr als 50 Millionen Euro Umsatz im Jahr, die die Frauenquote bis zum Jahre 2020 erreichen müssen.

Wie auf einer Hängeleiter führen die Stufen herab vom Öffentlichen ins Private. Kleine und mittelständische Unternehmen sind zwar noch ausgenommen von der Quote, aber nicht weil die Quotenmacher etwa Respekt vor deren Privatautonomie hätten. Die Quote ist einfach noch nicht so tief herabgestiegen. In der glücklichen Zukunft sollen die weiblichen Vorstände, die von den weiblichen Aufsichtsräten ernannt worden sind, »auch sogenannte Ausstrahlungseffekte« auf »mittlere und kleinere Unternehmen« ausüben, wie Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, im Interview mit dem Deutschlandradio unumwunden zugibt.

Bei börsennotierten Unternehmen fällt der Eingriff ins Eigentum nicht so auf, sie werden wegen ihrer Größe und ihrer vielen anonymen Eigentümer irgendwie als öffentliche Anstalten wahrgenommen. Aber nicht alles, was eine verwickelte Personalstruktur hat und mehrere Stockwerke und Gänge mit Büroräumen sein eigen nennt, ist schon öffentlich. Auch ein Unternehmen, das auf dem deutschen Leitindex für Aktien Dax gelistet ist, hat Eigentümer, die Aktionäre – und nur die dürfen darüber entscheiden, ob eine Frauenquote im Aufsichtsrat erwünscht ist.

Wie im totalen Staat des Carl Schmitt steht auch zu Beginn der Frauenquote eine Feinderklärung. Lange bevor der Staat der EU beginnen konnte, das Privatleben der Bürger nach der Unterscheidung zwischen Mann und Frau schematisch zu reglementieren, erklärte der Feminismus den Mann zum Feind. Wie schrieb doch Alice Schwarzer 1991 zum Geschlechterkampf zwischen Mann und Frau: »Die Propagierung des weiblichen Masochismus durch Männer ist ein Angriff, durch Frauen ist es Kollaboration mit dem Feind.« Der Mann ist der Feind, die Frau in seinem Bett eine Kollaborateurin. Der Feminismus ist vor allem die Ideologie der lesbischen Frau, wie Volker Zastrow 2006 in seinem Essay-Klassiker Gender. Politische Geschlechtsumwandlung schön herausgearbeitet hat.

Und diese Ideologie hat die Machtfülle eines superstaatlichen Kommissariats, mit langer Hand gestrickte Netzwerke und den Zeitgeist auf ihrer Seite. Die gesamte Debatte befindet sich schon diesseits der Frauenquote.

Während die Bundesministerin für Arbeit und Soziales das Diktat der EU-Kommissarin Viviane Reding stützt, will die Familienministerin die Flexi-Quote mit selbstgesetzten Unternehmenszielen, weil sie dagegen weniger Widerstand erwartet. Die Bundeskanzlerin lässt ihren Regierungssprecher ausrichten, Frauenquoten seien nationales Terrain, während ein Hamburger Gesetzesentwurf zur Frauenquote, der der EU-Richtlinie zum Verwechseln ähnelt, nach einem Spaziergang durch den Bundesrat schon auf die Zustimmung des Bundestages wartet. Selbst die liberale Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat der gesetzlichen Frauenquote nur ihre Hoffnung auf eine quotenmäßige Selbstregulierung der Unternehmen entgegenzusetzen.

Die männlichen Gegner der Quote argumentieren mit Kreide im Mund, die Frauenquote werde der weiblichen Sache auf Dauer nur schaden. Ob die Frauenquote überhaupt rechtmäßig ist, ob sie nicht nur durch rechtliche Anpassungen und eine fragwürdige Interpretation des Grundgesetzes legal gemacht werden kann, sondern ob sie vielmehr legitim ist – das ist schon gar kein Thema mehr! Warum soll die Quote dann eigentlich nur für die Arbeit gelten, nicht auch für alle anderen privaten Verhältnisse, etwa für die Ehe? Wenn die erste von zwei Schwestern einen Mann geheiratet hat, müsste die zweite dann nicht eine Frau heiraten müssen, um das schwache Geschlecht nicht zu diskriminieren?

Die Frauenquote ist totalitär. Sie ist es aber nicht, weil sie mit biologischen Argumenten Politik betreibt, wie der Geschlechterforscher Gerhard Amendt in seiner Abrechnung Frauenquoten – Quotenfrauen vermutet. Sie ist totalitär, weil sie vom öffentlichen Recht her das Private aushöhlt. Das Privatrecht ist aber seit römischen Zeiten das wichtigere Recht. Denn vom Privaten, von unten nach oben bauen sich auch die öffentlichen Einrichtungen auf. Nicht von oben nach unten, wie Kommissare es schon immer haben wollten.

Tage ohne Papst II

Seltsam, dass es so viele Vatikangegner gibt, die die Sedisvakanz derart in Unruhe versetzt, dass sie tagelang nur über dass Konklave reden können. Um es auch nicht einen einzigen Tag ohne Papst aushalten zu müssen, werden unentwegt Anforderungsprofile aufgestellt und wieder verworfen. Sagenhaft! Wir aber wollen uns hier nicht mit der Papstwahl beschäftigen, sondern mit der Sedisvakanz. Warum mit aller Kraft darüber hinwegreden, dass wir dieser Tage keinen Papst haben? Warum sich nicht auf das konzentrieren, was der Fall ist? Der nächste Papst wird sich schon zu erkennen geben, wenn es soweit ist. – Heute antworte ich auf den Kommentar eines Freundes zu den gestrigen Abdankungs- und Rücktrittsbetrachtungen in »Tage ohne Papst I«.

Kommentar:

Ich habe den Eindruck, dass es sich um wachsende Formlosigkeit handelt – oder besser gesagt, um wachsendes ›Formunvermögen‹. Sind wir inzwischen so kleine »letzte« und auf unser Ich zurückgeworfene Menschen, dass uns alle überpersonellen repräsentativen Formen hoffnungslos zu groß werden?

Meine Antwort:

Ja, ich fürchte, so ist es. Schlimmer noch: Das Leben selbst wird uns »zu groß«. Aber vielleicht sind nicht nur wir das Problem. Vielleicht ist es auch »die Welt«. Anders gesagt, »zu groß« wird die Differenz zwischen Amt und Person, zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Zu groß wird die Differenz zwischen der wirklichen und der utopischen Welt, seit alle Verheißungen des Jenseits hier und jetzt im Diesseits realisiert werden müssen. Sogar der Vatikan scheint an weltfremden Reinheits- und Unschuldsforderungen nicht mehr vorbeizukommen, wenn eine über dreißig Jahre alte Unbeherrschtheit genügt, um aus dem Amt gefegt zu werden.

Jene Differenz hat es natürlich immer gegeben, aber früher, zu Zeiten eines hierarchischen Weltbildes, war sie selbstverständlich. Die Entfremdung war selbstverständlich. Da durfte es in der Welt und auch im Einzelnen ein »Oben und Unten« geben, ein »Außen und Innen«. Heute sollen jegliche Unterschiede und Grenzen verschwinden. Auf diesem Weg lassen die Spannungen im Individuum aber keineswegs nach. Im Gegenteil, sie steigen sogar an. Jeder soll in sich selbst diese ansteigenden Spannungen auch noch zum Ausgleich bringen können. Wer das nicht schafft, wirkt rückwärtsgewandt oder altmodisch, denn am Kreuzungspunkt von Emanzipationsversprechen und Transparenzforderung gibt es das Problem ja eigentlich gar nicht. Der neue Wunderglaube sagt: »Wer ehrlich mit sich und den anderen wäre, der würde zur Klage keinen Grund haben.« So funktioniert der Mensch aber nicht. Da ist eine neue Grausamkeit am Werke, die dem Einzelnen keinen Rückzugsraum lässt, nirgends.

Früher gab es viel mehr Mittel und Wege, Differenzen zu verbergen, zu überspielen, ihnen auszuweichen, sie zu überformen oder zu unterlaufen. Wenn Kaiser Wilhelm II. auf Nordlandfahrt ging, war er vier Wochen lang sehr weit weg und nur per Postboot oder Telegrafie erreichbar. Für heutige Begriffe war er gar nicht erreichbar. Ein Papst  konnte im 19. Jahrhundert noch beinahe wie ein Privatmann durch Rom spazieren. Heute, wo ihn die ganze Welt kennt, lastet auch ihr ganzes Gewicht auf ihm. Milliarden von Menschen verfolgen seine Worte und Wege. Dabei hilft ihnen eine abbruchsüchtige Journaille, die obendrein Krokodilstränen weint (»Respekt!«), sobald sie ein weiteres Opfer an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hat. Selbst in den sechziger Jahren konnte ein Kanzler oder Bundespräsident noch sagen: »Um  zehn Uhr abends ist Schluss, aus, Feierabend! Da gehe ich ins Bett, Protokoll hin oder her!« So ein Politiker kam natürlich viel besser durchs Leben als jemand, der sich das mörderische Programm einer Angela Merkel aufhalst.

Es gab Mittel und Wege, die nach und nach abgeschafft und verbaut wurden. Heute kann man der Entfremdung im Amt und durch das Amt desto weniger ausweichen, je höher die unerfüllbaren Ansprüche steigen. Je mehr die Kontrollmöglichkeiten, die Rücksichtsforderungen der politischen Korrektheit und die allseitigen materiellen Erwartungen ausgebaut werden. Da darf man sich nicht wundern, dass die Amtsträger anfangen zu implodieren. Wer niemandem weh tun darf, muss wenigstens schweigen. Er muss innerlich verschwinden. Bundespräsident Gauck hat offenbar schon beschlossen, bald gar nichts mehr zu sagen. Die Ferndiagnose lautet »Depression«. Die stählerne Glätte und Makellosigkeit, die man als hoher Repräsentant heute braucht, um notfalls dem geballten Investigationspotential der Weltmedien standzuhalten, diese Perfektion gibt es überhaupt nicht, bei niemandem. Selbst Heilige waren vermutlich nicht rund um die Uhr heilig. Ohne Differenz gibt es keine Repräsentation. Ohne Differenz kann jeder nur sich selber repräsentieren. Und wir wundern uns, dass das Unbehagen wächst und wächst? Dass höchste Würdenträger anfangen zu kapitulieren?

Tage ohne Papst I

Zur Sedisvakanz fiel mir dieser Tage ein, dass wir ja auch keinen Kaiser mehr haben. Ich will daraus weder einen Wunsch noch eine Forderung ableiten. Es ist mir nur so eingefallen. Und dann fiel mir zur ersten Abdankung eines Papstes seit dem Mittelalter noch ein, dass auch der zuletzt abgedankt habende Kaiser ein Deutscher war, nämlich Kaiser Wilhelm II., der freilich eher ein Nationalkaiser und eigentlich kein richtiger Kaiser war. (Auf unserem Foto sieht man ihn am 4. Mai 1938 in Haus Doorn mit seinem Enkel Prinz Louis Ferdinand von Preußen anlässlich dessen Hochzeit mit Großfürstin Kira von Russland.) Zur Abdankung von deutschem Kaiser und deutschem Papst fiel mir ein, dass  sich neuerdings auch unsere Bundespräsidenten den Rücktritt anzugewöhnen scheinen – was solange ein Unding war, wie man im Amt des Bundespräsidenten noch einen Rest 130310_Hochzeit_Kira_LF_Doornjener Sakralität erkannt hat, die es unmöglich machte, die Königswürde zurückzugeben wie man eine schadhafte Ware dem Verkäufer zurückgibt. Man kann die Königswürde, das Amt des Papstes und eigentlich auch das Amt des Bundespräsidenten genauso wenig zurückgeben wie man das Getauftsein zurückgeben kann. Natürlich, man kann, bislang mit Ausnahme der Taufe. Man soll ja neuerdings auch sein Leben zurückgeben können, und so wird das alles vorsichtshalber auch geregelt. Alles hat ein Ende. Aber Zurückgeben ist etwas anderes. Wenn das Zurückgeben zur Gewohnheit wird, ist es aus mit der Würde. Wahrscheinlich ist es dann auch bald aus mit der Freude. Die Taufe gilt für immer. Mutter- und Vaterschaft übrigens auch. Deshalb gilt: Einmal Papst, immer Papst. Einmal Kaiser, immer Kaiser. Einmal König, immer König. Einmal Bundespräsident, immer Bundespräsident. Weshalb es fraglos richtig, höflich und angemessen ist, Benedikt XVI. weiterhin mit »Eure Heiligkeit« anzusprechen. Warum sollte man dem Papst verweigern, was man sogar Richard von Weizsäcker und Roman Herzog zubilligt, nämlich weiterhin mit »Herr Bundespräsident« angesprochen zu werden? Und zuallerletzt fiel mir das eigentlich nur wegen der höchst merkwürdigen Fundsache Nr. 4 ein, die ich gestern vorgestellt habe.

Der Streit um das Kind. Nachtrag zur Sterbehilfe Nr. 8

Zwei Frauen, die unter einem Dach wohnen, sind fast gleichzeitg Mütter geworden. Eines der beiden Kinder stirbt. Daraufhin streiten sie sich um das verbliebene Kind, denn die eine Mutter hat ihr totes Kind mit dem lebendigen Kind der anderen Mutter vertauscht. Sie streiten sich sogar vor dem König, wem das lebendige Kind gehöre. Der König befiehlt: »Bringt mir ein Schwert. Haut das Kind in zwei Teile und gebt die eine Hälfte der einen und die andere Hälfte der anderen.« Die wahre Mutter will lieber auf das Kind verzichten und es der anderen überlassen, als es sterben zu sehen. Die falsche Mutter sagt: »Es gehöre weder mir noch dir, sondern es werde geteilt.« Der König sagt: »Gebt jener das Kind und tötet es nicht, denn sie ist seine Mutter!«

Ist zu teilen nicht gerechter, als nicht zu teilen? Nein, das weise Urteil König Salomos ist gerecht, weil mit der Tötung des verbliebenen Kindes die irdische Gerechtigkeit für dieses Mal aufhören würde. Auch die irdische Freiheit hört mit dem Tod auf, weshalb der »freie« Tod keine Realisierung von Freiheit sein kann. Die obige Geschichte lehrt auch dies: Je lauter und je häufiger die Forderung nach »Gerechtigkeit« erhoben wird, desto mehr Neid könnte im Spiel sein. Ich habe auf diese Gefahr bereits im Zusammenhang eines Adoptionsrechtes »für« (!) gleichgeschlechtliche Paare hingewiesen, denn ein solches Recht würde bedeuten, das Vermittlungswesen am Wohl künftiger Adoptiveltern auszurichten und nicht am maximalen Wohl des Adoptivkindes.

Die Motive, die den aktuellen Umbau vorantreiben, werden nur im Rahmen des großen Trends zur Trennung von Sexualität und Fortpflanzung verständlich. Warum natürlich tun, was man für viel Geld und mit viel Verwaltungsaufwand auch künstlich tun kann? Warum rechtzeitig natürlich befruchten, wenn es künstlich auch später noch geht? Gleichgeschlechtliche Paare erfinden plötzlich ein »Recht auf Kinder«, das es bislang für niemanden gab, das aber in Zeiten steigender Rentenempfänger und sinkender Renten eine bessere Altersversorgung versprechen könnte. Schließlich geht mit dem Erbanspruch eines Adoptivkindes auch eine Fürsorgepflicht zum Wohle der Adoptiveltern einher.

Natürliche Zeugung, Kindesaufzucht durch eigene Mütter oder die Pflege kranker und alter Familienangehöriger bringen dem Staat kurzfristig kein Geld ein, weil sie kein Geld kosten und  keine Steuern generieren. Sie »kosten« den Staat vielmehr jene Steuern, die ihm mangels Einnahmen (Lohn oder Gehalt) und mangels Ausgaben (Einkauf teurer Leistungen) entgehen. Für die Staatskasse wäre es besser, Angehörige würden arbeiten gehen und ihre Dienstleistung einkaufen. Ein gesundes Familienleben schmälert das Bruttosozialprodukt, es ist Steuerhinterziehung! Auf einmal scheint die natürliche, kostenlose Sorge das Gemeinwesen zu schädigen, statt dass sie es erhalten würde. Der finanziell überforderte Sozialstaat bedroht am Ende die tätige Liebe. Eine immer materialistischere Weltsicht bemächtigt sich der Fragen von Leben und Tod. Das wäre ein Thema für Die Linke und für Die Grünen.

In dem Sterbehilfe-Buch von Axel Bauer und mir heißt es in meinem Beitrag Wir sollen sterben wollen auf Seite 63: »Bevor unsere kurzatmige, neue Welt nichts kostet und also auch nichts einbringt, soll sie lieber noch kurzatmiger werden. Das erinnert an das russische Märchen, in welchem die Fee einem Bauern einen Wunsch erfüllen möchte – mit der einzigen Bedingung, dass dieser Wunsch seinem Nachbarn doppelt erfüllt werde. Der Bauer überlegt und sagt: ›Stich mir ein Auge aus.‹ Wir aber, die wir nach Sterbehilfe verlangen, antworten der Fee: ›Stich mir ins Herz‹, damit auch die Frau des Nachbarn ins Grab sinke.«

Die Tatsache, dass ich dem anderen »erlaube zu gehen, wann er will«, erleichtert mich um meine eigene Lebens-und Todesangst, weil ich nun weiß, dass auch ich »gehen darf, wann ich will«. Zu meiner eigenen Beruhigung schicke ich den anderen vor. Das erklärt, warum so viele Leute das Recht auf Sterbehilfe nicht für sich, sondern ganz selbstlos »nur für die anderen« fordern. Die obige Geschichte aus dem Alten Testament wirft ein ähnlich beunruhigendes Licht auf das Abtreibungsproblem. Warum erwartet unser Zeitgeist von Frauen, die aus welchen Gründen auch immer abgetrieben haben, dass sie ganz allgemein »für Abtreibung« sind? Wie kann man überhaupt »für Abtreibung« als alltägliche, jederzeit verfügbare »Problemlösung« sein? Wie konnte aus einer Ausnahme die Regel werden?

Pro Jahr kommt es in Deutschland zu rund 100.000 Abtreibungen. Im Adoptionswesen würde ein quotierter Anteil für gleichgeschlechtliche Paare bei rund 200 Kindern pro Jahr liegen (4.060 Adoptionen gab es im Jahre 2011 insgesamt!). Ein derart lärmender Streit um 200 Kinder, während die fünfhundertfache Zahl von Kindern mit wachsender Selbstverständlichkeit abgetrieben wird? Wir leben wahrlich in seltsamen Verhältnissen. Um auf die verborgene Analogie von Abtreibung und Sterbehilfe hinzuweisen: Welche Frauen beruhigt es in ihrer eigenen Not, wenn sie wissen, dass auch andere abtreiben? Dass sie, wenn andere auch künftig abtreiben, mit ihrer eigenen Abtreibung niemals allein sein werden? Damit kommen wir zurück zu den streitenden Frauen und König Salomo. Dort erträgt es die kinderlose Mutter in ihrer Trauer nicht, dass ihre Nebenfrau ihr Kind noch hat. Der Streit gipfelt darin, dass sie wünscht, dass König Salomo das Kind der anderen töten lasse und lieber keine von beiden ein Kind habe. Auch der böse Geist des russischen Bauern ist in der Geschichte aus dem 3. Buch der Könige mit enthalten. Wer aber fällt heute oder morgen Salomos weises Urteil?

Guillotine. Neues aus dem Fundbüro Nr. 4

Aus den Tagebüchern von Julien Green (Dank an J.P.): »27. Januar [1989] – Der Herzog von Anjou wurde gestern nachmittag in einem Skiort in Colorado getötet. [Halten zu Gnaden: Er wurde nicht »getötet« – es sei denn, es hätte sich um einen Mordanschlag gehandelt –, sondern er kam ums Leben. Im Internet wird allgemein der 30. Januar als Todestag angegeben; vielleicht ergibt sich die Differenz daraus, dass an diesem Tag sein jüngerer Sohn die Erbfolge antrat ... Aber fahren wir fort:] Er fuhr im Schnee mit hoher Geschwindigkeit abwärts, und ein quer über die Piste gespanntes Kabel, das das Ziel eines Rennens markieren sollte, hat ihn enthauptet. Es ist zu billig, ›wie Ludwig XVI.‹ zu sagen, doch kommt einem dies in den Sinn. Er war zweiundfünfzig Jahre alt und hinterläßt einen noch nicht fünfzehnjährigen Sohn. Auf diesem jungen Kopf ruht die ganze Zukunft des einzigen französischen Königshauses, wenn es eine Zukunft hat. Grauenhaft dieses Ende des Herzogs von Anjou, dessen Charme und Größe gepriesen wurden. Was die Abkommen des Hauses Orléans betrifft, so werden stets deren Ruhmsucht und Ludwigs XVI. letzte Worte gegen sie sprechen. [...]
28. Januar – Die entsetzliche Nachricht aus Colorado, die man nicht gewagt hat dem Sohn zu überbringen. Er ist vierzehn Jahre alt, das Alter, in dem ich war, als ich an jenem unvergeßlichen Vormittag im Dezember 1914 von Mamas Tod erfuhr. In diesem Alter ist ein Schock solchen Ausmaßes nahezu unerträglich. Erst spät erholt man sich davon. Dem Anschein nach. Was soll man zu dem Leichtsinn der Organisatoren sagen, die kein Schild mit dem Wort ›Ziel‹ an den Draht gehängt hatten? Der enthauptete Körper raste aufrecht geradewegs weiter …«

PS
Seinen älteren Sohn hatte der Duc d’Anjou im November 1984 durch einen Autounfall verloren. Für die französischen Legitimisten ist der von Julien Green erwähnte vierzehnjährige Sohn, der heute 38jährige Louis Alphonse de Bourbon, Duc d’Anjou, als »Ludwig XX.« Prätendent des französischen Throns. Er hat inzwischen drei Kinder und lebt mit ihnen und ihrer Mutter, seiner venezolanischen Ehefrau, in Venezuela – weit weg von Europa.

Frühes Verschwinden

Aus der großen Stadt zogen wir fort in die kleine Stadt. Vom Bahnhof der kleinen Stadt, der am Rand eines Waldes lag, fuhren Mutter und ich einmal im Monat mit der Bahn in die große Stadt zum Einkaufen. Auf diese Einkaufsfahrten freute ich mich sehr. Ich bekam unterwegs Spielzeug geschenkt; etwa kleine, schwere Metallflugzeuge, die wir aus einem der großen Kaufhäuser mitbrachten, in denen wir uns viele Stunden lang bei den dort angebotenen Waren aufhielten. Manchmal sahen wir vom Waggon aus sogar den Hafen, der an einem großen Fluss lag.

Eines Tages, als wir wieder in der Bahn saßen, sagte Mutter plötzlich zu mir, dass ich ihr während der Fahrt nicht so viele Fragen stellen solle. Oft wisse sie die Antwort nicht, und das sei ihr peinlich vor den anderen Leuten. Mir war gar nicht aufgefallen, dass Mutter die Antworten nicht gewusst hatte. Ich verstand auch nicht, warum sie die Peinlichkeit fürchtete, etwas nicht zu wissen, noch bevor ich sie überhaupt gefragt hatte. Ich dachte, wenn man etwas nicht weiß, dann weiß man es nicht. Dann könnte es einem doch egal sein, dachte ich, was die anderen Leute darüber denken. Jedenfalls überraschte es mich, dass ich auf einmal sprechen sollte, als ob all die Leute nur auf das Ausbleiben von Mutters Antworten warteten. Das konnte doch gar nicht sein. Die Bahnfahrt war doch immer so gemütlich gewesen. Während der Bahnfahrt freute ich mich doch auf den Besuch in der großen Stadt.

Ging es darum, einen geheimen Ärger der anderen Leute auszuräumen und sie zu beschwichtigen? Wir kannten diese Leute doch gar nicht, und sie hatten auch gar nichts gesagt. Ich konnte mir das Problem von Mutter nicht erklären lassen, denn Nachfragen waren nun auch verboten. Sie unternahm auch später keine Anstrengung, mir die Sache zu erklären. Ich nahm aber an, dass uns die anderen Leute gar nicht so genau zugehört hatten wie Mutter glaubte, dass sie es getan hätten. Denn die Unzufriedenheit, die Mutter fürchtete, hatten sie uns, wie gesagt, in keiner Weise spüren lassen. Und dann fand ich auch, dass die Unzufriedenheit, die Mutter den anderen Leuten beim Belauschen unserer Gespräche unterstellte, selbst wenn es sie wirklich gab, nicht so schwer wog, dass wir unser Verhalten danach hätten ausrichten müssen.

Ich fragte mich, auf welch geheimnisvolle Weise Mutters Wunsch, ich möge ihr keine Fragen mehr stellen, so groß geworden war, dass er von einem Augenblick auf den anderen unser Gespräch hatte unterbinden können. Obgleich mir der genannte Grund nicht einleuchtete, wollte ich Mutter ihren Wunsch erfüllen. Daran, dass ich Mutter gehorchte, irritierte mich, dass ich dadurch den anderen Leuten einen Gefallen tat, von denen weder eine Dankbarkeit zu erwarten war noch sonst eine Reaktion. Von jetzt an machte ich also nur noch kleine, harmlose Bemerkungen. Oder ich stellte nur noch ganz leise eine Frage, von der ich sicher wusste, dass Mutter sie würde beantworten können. Unsere Eisenbahngespräche wurden zäh und verhalten. Bei meinen wenigen Anläufen ging es  nur noch darum, Mutter und mich für einen Augenblick aus unserem Schweigen zu erlösen. Die Pausen wurden immer länger. Unser Schweigen wurde nur noch dann und wann von einem knappen Wortwechsel unterbrochen, so wie in gewissen Abständen die Fahrt dadurch unterbrochen wurde, dass der Zug an einer Station hielt, wo sich die Türen öffneten und vom Bahnsteig frische Luft und Stimmengewirr in den Waggon hereindrangen.

Ich hatte aber nicht den Eindruck, dass Mutter sich nun wohler fühlte. Es nützte eigentlich gar nichts, dass ich ihr weniger Fragen stellte oder wenigstens flüsterte. Vielmehr verschlechterte sich die Stimmung. Mutter wirkte auf einmal abwesend. Das hatte sie vorher nicht getan, und die anderen Leuten, die für mich zuvor abwesend gewesen waren, rückten uns nun seltsam nahe, indem sie plötzlich eine viel zu große Bedeutung für unsere gewiss nicht bedeutenden Plaudereien bekommen hatten. Mutter hatte auf einen Unmut reagiert, den es gar nicht gab. Sie hatte auf Leute reagiert, die es gar nicht gab. Irgendwelche unwirklichen Leute hatten mir die Freude an unserer Bahnfahrt geraubt. Ich wusste, dass da etwas nicht stimmte. Ich wusste, dass die anderen Leute unschuldig waren. Ich wusste, dass Mutter die anderen Leute zwischen uns beide geschoben hatte. Aber es nützte mir nichts, das zu wissen. Mutter war verschwunden, und ich auch.