Homosexuelle Reproduktion gibt es nicht – allen Versprechungen und Hoffnungen zum Trotz. Andreas Lombard sagt: Für den reproduktionstechnischen Markt dienen diese bloß als Türöffner. – Das folgende Interview erschien zuerst auf freiewelt.net
Foto: privat
FreieWelt.net: »Homosexualität gibt es nicht«, behaupten Sie im Titel Ihres neuen Buches. Wie ist diese steile These zu verstehen?
FreieWelt.net: Das müssen Sie mir erklären.
Andreas Lombard: Drei Beispiele: Erstens gilt Homosexualität für unveränderbar, als wäre sie ein sicherer Hafen, eine Art Schutz vor den Unwägbarkeiten des Lebens. Den gibt es nicht. Zweitens gibt es die behauptete Gleichheit nicht. »Gleich« ist Homosexualität nur dann, wenn ich die Fortpflanzung wegdenke. Und drittens führt die Gleichstellung zu einer fiktiven homosexuellen Fruchtbarkeit und am Ende zu einer Diskriminierung der Heterosexualität. Es gibt keine homosexuellen Eltern im Vollsinn des Wortes.
Zu Punkt eins: Laut Gender Mainstreaming gibt es die Veränderbarkeit der sexuellen Orientierung nur als Einbahnstraße, also hin zur Homosexualität und nicht zurück zur Heterosexualität. Ich kenne aber mehrere Frauen, die lesbisch gelebt haben und heute mit einem Mann zusammensind. Die Vorstellung einer nicht veränderbaren homosexuellen Identität ist historisch gesehen sehr jung. Für die Betroffenen kann sie leicht zu einem Gefängnis werden.
Zu Punkt zwei: Homo- und Heterosexualität sind nur dann »gleich«, wenn ich die Fortpflanzung weglasse. Interessanterweise bricht der Kampf um die Gleichstellung in dem Augenblick aus, in dem dank technisch assistierter Reproduktion die Hoffnung auf echte, homosexuelle Fruchtbarkeit entsteht. Bislang ist das eine Fiktion, aber diese Fiktion wird von den Medien, von interessierten Verbänden und sogar von der Bundesregierung aggressiv behauptet und vermarktet. Man tut bewusst so, als ob zwei Schwule oder zwei Lesben Eltern im Vollsinn des Wortes sein könnten. Das können sie nicht, jedenfalls nicht miteinander.
Zu Punkt drei: Lange Zeit konnte der Eindruck entstehen, alle Unmoral läge auf Seiten der Homosexualität, sodass viele heterosexuelle »Sünden«, wie man sie früher nannte, aus dem Blick gerieten. Den Rückstoß erleben wir jetzt. Er besteht darin, so zu tun, als ob Homosexuelle die besseren Eltern wären, weil »ihre« Kinder ja echte Wunschkinder seien, im Unterschied zu den bekannten »Unfallkindern« der Heteros. Ich halte das für eine böswillige Diskriminierung prinzipiell schützenswerter Normalität, von unglücklichen Einzelfällen abgesehen, die es immer und überall gibt. Meinetwegen können sich homosexuelle Paare als »Eltern« ausgeben, aber als Grundlage einer normativen Neuordnung von Familie finde ich es destruktiv.
FreieWelt.net: »Homophob« wird man diesen Ansatz nicht unbedingt nennen können. Außerdem sagen Sie, dass Sie die Homosexuellen schützen wollen. Wovor?
Andreas Lombard: Sagen kann man immer viel. Der Titel meines Buches wurde sofort öffentlich als homophob bezeichnet – natürlich von Leuten, die es gar nicht gelesen hatten. Eine solche Vorverurteilung ist aber Blödsinn. Ich weiß, dass ich viele Schwule auf meiner Seite habe, die einfach nur ihr Leben leben wollen. Die Messlatte für den Vorwurf der Homophobie wurde immer niedriger gehängt – ein leicht durchschaubares Spiel.
Worum es tatsächlich geht, ist etwas anderes. Tatsächlich werden Schwule und Lesben gnadenlos instrumentalisiert und zwar im Kampf gegen jede Form von traditioneller Identität und Herkunft. Das ist aber nur die Oberfläche. Tatsächlich sollen sie einem riesigen reproduktionstechnischen Markt als Türöffner dienen. Spätestens, wenn die Gleichstellung der Homo-Ehe erreicht ist, wird es einen Kampf um die Legalisierung der Leihmutterschaft geben. Versuchen Sie mal, das zu kritisieren, ohne den Vorwurf der Homophobie zu kassieren. Das ist schon jetzt beinahe unmöglich.
FreieWelt.net: Was haben Sie gegen Leihmutterschaft?
Andreas Lombard: Das ist die denkbar krasseste Instrumentalisierung der Frau. Der Ausdruck »Gebärmaschine« wäre noch viel zu niedlich, weil er aus einem vergleichsweise harmlosen feministischen Kontext kommt. Dort war er polemisch gegen eine Pflicht zur Mutterschaft gerichtet – die es in den letzten Jahrzehnten gar nicht mehr gab.
Mir kommt es so vor, als ob diejenigen, die sich für ihr eigenes Leben an keine Regeln mehr halten wollen (was ihr gutes Recht ist), sich gerne hinter der Emanzipation der Schwulen und Lesben verstecken, nach dem Motto, »wenn die anderen alles dürfen und auf niemanden mehr Rücksicht zu nehmen brauchen, dann brauche ich es auch nicht«. Darüber hinaus geht es darum, bestimmte natürliche oder schicksalhafte Beschränkungen des menschlichen Lebens nicht mehr akzeptieren zu müssen. Das macht uns aber nicht stärker, sondern immer schwächer.
Ich muss nicht den Katechismus der katholischen Kirche zum Maßstab machen, um zu erkennen, dass in unserer Gesellschaft einiges schiefläuft, von der steigenden Scheidungsrate (»Liebes-Aus«) bis dahin, dass Deutschland die niedrigste Geburtenrate der Welt hat. Für wessen Emanzipation kämpfen wir eigentlich, wenn wir selber darüber aussterben? Die syrischen Flüchtlinge, ob Christen oder Muslime, interessiert die Homo-Ehe bestimmt nicht.
FreieWelt.net: Für Sie ist »Sexualität« nicht ohne Fortpflanzung denkbar. Aber dieser Zusammenhang ist doch längst zerrissen. Was sprich dann dagegen, von Homosexualität zu reden?
Andreas Lombard: Denkbar ist Sexualität ohne Fortpflanzung sehr wohl. Ich bin ja auch nur ein Mensch. Aber die Feststellung, dass der Zusammenhang von Sexualität und Fortpflanzung objektiv zerrissen sei, ist richtig und falsch zugleich. Richtig ist, dass es das Kondom, die Pille, die Abtreibung, die »Pille danach« und was sonst noch alles gibt. Es gibt den Niedergang der Ehe und den Aufstieg der technisch assistierten Reproduktion.
Die These der Trennung von Sexualität und Fortpflanzung ist falsch, sobald es um die Zukunft geht. Bei der Konstruktion einer homosexuellen Fertilität geht es ja gerade darum, Sexualität und Fortpflanzung auf einer neuen Stufe zu verbinden. Was wir derzeit erleben, ist der Versuch einer technischen Rekonstruktion dieses Zusammenhangs, auf Kosten des Ansehens der natürlichen Reproduktion, also unter Leugnung der unschlagbaren Vorteile, die die natürliche Elternschaft hat und die sie so bald auch nicht verlieren wird.
FreieWelt.net: Und warum soll das problematisch sein?
Andreas Lombard: Kinder brauchen nach Möglichkeit ihre beiden leiblichen Eltern. Alles andere ist eine Lüge. Die Beobachtung dessen, was es faktisch gibt, ersetzt nicht die Frage danach, ob es gut oder schlecht ist, ob es bessere und schlechtere Möglichkeiten der Fortpflanzung und der Familiengründung gibt. Der Arzt Christian Spaemann sagt zu recht: »Selbst wenn alle Leute bei McDonald´s essen, verliert die gesunde Ernährung nicht ihren Wert.« Ganz im Gegenteil.
FreieWelt.net: Eine Argumentation, die auf Biologie abhebt, vertraut darauf, dass es keine neuen Erkenntnisse gibt. Ist das nicht ein bisschen riskant?
Andreas Lombard: Für die Kriegsgewinnler des Fortschritts ist es bestimmt riskant. Ich bin gar nicht gegen diesen Fortschritt. Ich bin nur dagegen, dass man uns seinen Preis nicht nennen will. Ich beobachte ein mephistophelisches Prinzip, wenn man Geschlechtskrankheiten, familiäre Entfremdungsgefühle, sexuelle Süchte und Selbstmordneigungen unterschlägt. Wenn man leugnet, dass es auch gescheitertes Leben gibt.
Natürlich müssen nicht alle scheitern, die homosexuell sind, aber viele tun es eben doch. Jeder, der auch nur eine Nacht in einem Berliner Darkroom verbracht hat, weiß, wovon ich rede. Manche Männer haben alle Geschlechtskrankheiten gleichzeitig. Von dem, was dort passiert, erzählt keine Hochglanzanzeige der Gleichstellungskampagnen. Allen Kampagnen zum Trotz steigen die Infektionen mit HIV, jetzt sogar bei der älteren Bevölkerung. Wohin soll das führen?
Das Bild des gesunden, attraktiven, jungen homosexuellen Mannes, der ein glückliches Leben führt, sobald er nur seinen Freund heiraten und mit ihm ein Kind adoptieren darf, ist die naivste Fiktion, die man sich vorstellen kann. Viele Leute, die diese Kitschphantasie verteidigen, ohne selber homosexuell zu sein, können nicht einmal sagen, ob sie für oder gegen Leihmutterschaft sind – die zwangsläufig dazukommen wird.
Einerseits haben die Kinder von Samenspendern höchstrichterlich das Recht auf Kenntnis ihrer Väter und auf Umgang mit ihnen. Andererseits werden neue Formen des familiären Patchworks beworben, die den beteiligten homosexuellen Erwachsenen eine Art Recht geben, mindestens ein leibliches Elternteil, nämlich das gegengeschlechtliche, aus der Familie auszuschließen. Diesen Spagat akzeptiere, wer will. Ich verstehe ihn nicht.
FreieWelt.net: Aktuell gibt es Bestrebungen, Homosexuellen zu ermöglichen, eine »Ehe« einzugehen. Was bedeutet das für die Beteiligten – und für die echte Ehe?
Andreas Lombard: Erstens: Die Ehe ist eine halböffentliche Institution, weil das Staatsvolk bislang ein Interesse an Nachkommen hatte. Der Vorwurf der Diskriminierung, den das Bundesverfassungsgericht neuerdings aus der Beschränkung der Ehe auf Mann und Frau ableitet, geht völlig fehl. Da wird Ungleiches verglichen – als würde man einem Apfelbauern vorwerfen, dass er keine Birnen hat.
Die gleichgeschlechtliche Partnerschaft ist eben nicht auf Nachkommenschaft angelegt, jedenfalls nicht, solange es keine »männlichen« Eizellen und keine »weiblichen« Samen gibt (woran die Forschung arbeitet, wie man hört). Das ganze Theater, das eigentlich nur eine Minderheit betrifft, ist ein Wechsel auf die Zukunft, eine moralisch-gesellschaftliche Vorbereitung auf das, was technisch auf uns zukommen könnte. Es mag ja sein, dass eines Tages leibliche Nachkommen homosexueller Paare möglich sind, aber das geht bestimmt nicht ohne einen gigantischen Therapiebedarf bei den so entstandenen Kindern ab.
Zweitens: Privat kann jeder machen, was er will. Ich würde einen Anspruch auf die Ehe aber niemals darauf gründen wollen, dass ich fähig bin, mit meinem Partner »Werte zu leben«, soll heißen, dass ich pünktlich bin, Verabredungen einhalte und ihm Tee koche, wenn er krank ist. Ich finde dieses Niveau von Gleichstellung beleidigend. Ebenso könnte ich mich auf darauf berufen, dass alle Menschen zwei Beine haben. Na gut, fast alle …
Im Übrigen leben Männer in schwulen Partnerschaften mehrheitlich promisk, flotte Dreier inklusive. Die Partner mögen sich wirklich lieben, aber ich weiß nicht, was für eine Ehe das sein soll. Besonders verräterisch finde ich es, dass das »Recht auf Ehe« und das »Recht auf Kinder« ohne jeden inneren Zusammenhang gefordert werden. Mir kommt das vor wie eine kindliche Spielerei, bei der man das Leben der Erwachsenen in Stücke haut, um es nach Belieben neu zusammenzusetzen. Die Anhänger der Gleichstellung mögen ganz auf der Höhe ihrer Zeit sein. Ich glaube nur nicht, dass sich diese »Höhe« lange halten lässt.
Drittens: Wenn die Zweigeschlechtlichkeit kein Kriterium für die Ehe mehr ist, warum sollten dann nicht drei oder vier Leute heiraten? Und warum sollte man nicht Inzest treiben, wenn die natürliche Genealogie nicht mehr gebraucht wird? Die Grünen fordern die tatsächlich strafrechtliche Freigabe des Inzest, spielen aber zugleich den Beleidigten, wenn man ihnen diese Konsequenz aufzeigt.
FreieWelt.net: Im Zuge des Kampfs der Homosexuellen werden neue Rechte postuliert, zum Beispiel das auf Kinder. Stehen wir am Beginn einer neuen Epoche, in der die Menschenrechte neu konzipiert werden müssen?
Andreas Lombard: Wenn Sie einklagbare Ansprüche meinen – ein Recht auf Kinder gibt es nicht gibt und kann es nicht geben. Bislang haben Kinder zwei Elternteile. Kinder sind eine Frage der Verantwortung für das eigene Leben. Solange wir uns nicht selbst befruchten können (auch diese Fähigkeit wäre nicht einklagbar) muss ich mich halt mit dem zweiten zukünftigen Elternteil einig werden. Ein anderer muss von mir ein Kind wollen. So läuft das auch bei den Heterosexuellen, sodass ich gar nicht weiß, wo es hier eine Diskriminierung geben soll.
In Berlin gibt es vermutlich Tausende von Kindern, die von schwul-lesbischen Eltern durch einfachen Samentransfer gezeugt wurden. Man kann das doch alles machen. Dagegen zielt das Einklagen von »Rechten« auf die staatliche Finanzierung künstlicher Reproduktion. Dieser Markt hat ein lebhaftes Interesse daran zu wachsen, und da kommen ihm die Homosexuellen gerade recht – als ob sie alle unfruchtbar wären.
FreieWelt.net: Was hat der Holocaust mit Homosexualität zu tun?
Andreas Lombard: Ich begnüge mich mit einem Zitat der Frankfurter Juristin Ute Sacksofsky aus der Zeitschrift »Merkur« (Nr. 769): »Gehen wir davon aus, dass es um die Weitergabe deutschen Erbgutes nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nicht mehr gehen kann: Was wäre eigentlich so schlimm daran, wenn die Deutschen aussterben sollten (was ohnedies noch ein paar Jahrhunderte dauern dürfte)? Das Territorium, auf dem sich derzeit [!] Deutschland befindet, könnte der Natur zurückgegeben oder (das ist wahrscheinlicher) von anderen Menschen besiedelt werden.«
Der Angriff auf das genealogische Prinzip bezieht – in Deutschland – seine Kraft immer noch aus dem Führerbunker. Für Hitler hat das deutsche Volk sein Lebensrecht wegen der damals bevorstehenden Kriegsniederlage verwirkt, bei Sacksofy ist es der Holocaust. Ich bewerte das nicht. Ich konstatiere nur die Kontinuität der argumentativen Struktur, die auf ein hartnäckiges nationalsozialistisches Introjekt verweist, wie der Psychoanalytiker sagen würde. Ansonsten erlaube ich mir den Verweis auf das elfte Kapitel meines Buches.
FreieWelt.net: Vielen Dank für das Gespräch.
Andreas Lombard: Homosexualität gibt es nicht. Abschied von einem leeren Versprechen, Edition Sonderwege bei Manuscriptum, Waltrop/Leipzig 2015, 410 Seiten, 22,80 Euro.
Das Buch kann man hier bestellen.
]]>
Der Bundestag hat die Beihilfe zum Suizid rechtlich geregelt – ein schwarzer Tag für die Menschenwürde. Es wurde eine Grauzone geschaffen, die Rechtsunsicherheit ist größer als zuvor.
Der 6. November 2015 war ein schwarzer Tag für den Lebensschutz. An diesem Tag hat der Deutsche Bundestag mit der Neufassung der Paragrafen 217 StGB zwar die geschäftsmäßige Sterbehilfe verboten, die private Sterbehilfe hat er aber zugleich erlaubt. Wenn das Gesetz bestand hat, ist Sterbehilfe in Deutschland unter bestimmten Bedingungen legal. Dank der engagierten Lebensschützer hatte der Bundestag immerhin die Chance, die Sterbehilfe vollständig zu verbieten. Niemand wird sagen können, dass es keine Alternative gegeben habe.
Dabei mögen viele Abgeordnete das Gefühl gehabt haben, sie hätten etwas für den Lebensschutz getan – und das, obwohl sie gar nicht für das von Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger vorgeschlagene vollständige Verbot der Sterbehilfe gestimmt haben. Das am 6. November beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe durch den Bundestag – wie es überall in der Presse stand – war aber nicht einmal die halbe Wahrheit. Abgelehnt wurde nur die Geschäftsmäßigkeit, nicht aber die fortschreitende Legitimierung von Suizid und Suizidassistenz. Angehörigen und anderen »nahestehenden« Personen wurde nämlich Straffreiheit zugesichert. Eine neue Grauzone wurde geschaffen.
Damit war der 6. November 2015 auch ein schwarzer Tag für die Rechtskultur unseres Landes. Sterbehilfe ist letztlich Tötung eines Menschen, denn die »Tatherrschaft« liegt beim Helfer, ohne den der Patient meist weiterleben würde. Der Gesetzgeber hat diese Form der Tötung jetzt unter bestimmten Bedingungen legalisiert, obwohl diese Bedingungen nichts über die Motive der beteiligten »Helfer« aussagen. Nicht die Tat selber steht im Mittelpunkt des neuen Gesetzes, sondern die Bedingungen, unter denen sie begangen wird.
Unter Verweis auf private Gewissens- und Ermessensspielräume verweigert der Staat seinen Bürgern damit den Schutz ihres Lebens nach Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes. Die Tötung als solche ist von nun an kein strafwürdiges Delikt mehr. Sie muss nur in einem bestimmten Rahmen geschehen. Wie bei der Abtreibung wird es nur noch darum gehen, die »gute Qualität« der ansonsten »ergebnisoffenen« Beratung zu sichern. Das Vertrauensverhältnis zu nahestehenden Personen verhindert bekanntlich keine Ausnutzung desselben. Andererseits machen wirtschaftliche Interessen aus einer guten Tat noch keine schlechte, und das Fehlen solcher Interessen verwandelt keine schlechte Tat in eine gute. Fehlende Geschäftsmäßigkeit garantiert keine lauteren Motive.
Als ob es aber so wäre, hat der deutsche Gesetzgeber zum ersten Mal seit 1945 eine explizite Möglichkeit geschaffen, leidvolles Leben als nicht mehr lebenswert zu beenden. Das ist ein Kulturbruch, ein Staatsversagen ersten Ranges. Mit einem generellen Verbot der Sterbehilfe hätte der Staat das Leben schützen können und müssen – um dann, im zweiten Schritt, in den extrem seltenen Ausnahmefällen, in denen Sterbehilfe durchaus indiziert sein kann, notfalls Gnade vor Recht ergehen zu lassen.
Auf den Schutz des Lebens wurde aber verzichtet. Der Gesetzentwurf der Abgeordneten Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger, der die Sterbehilfe verbieten wollte, wurde nicht angenommen. Der große Erfolg der deutschen Lebensschutzbewegung besteht trotzdem darin, dass das vollständige Verbot überhaupt zur Abstimmung kam. Das war eigentlich nicht vorgesehen.
Jetzt, nach der Entscheidung des Bundestages, ist die Unsicherheit größer als je zuvor. Was ist ein Hausarzt? Ist er eine nahestehende Vertrauensperson oder ein geschäftsmäßig auftretender Helfer? Die Befürworter der Sterbehilfe fürchten eine Kriminalisierung der Ärzteschaft, obwohl es in der Bundesrepublik bislang keine rechtskräftige Verurteilung eines Arztes wegen Sterbehilfe gegeben hat. Die besseren Argumente haben eindeutig die Gegner, die mit Verweis auf die bitteren Erfahrungen bei der Abtreibung vor der schiefen Ebene warnen.
Belgien, die Niederlande und Luxemburg haben bereits die aktive Sterbehilfe und den assistierten Suizid legalisiert, Belgien und die Niederlande bereits ab 14 Jahren, also auch für Kinder. In den Niederlanden können Eltern ihrer mindestens 16-jährigen Kinder nicht mehr einschreiten, wenn diese Sterbehilfe beanspruchen wollen. Die Europäische Union arbeitet längst daran, die Sterbehilfe wie schon die Abtreibung der Dienstleistungsfreit zuzuordnen, sie ganz aus dem Strafrecht herauszulösen und zu einer Frage der öffentlichen Gesundheitspflege zu machen. In diesem Zuge wird man das nationale Recht und die nationale kulturelle Tradition über kurz oder lang aushebeln.
Noch bis Anfang Januar 2016 liegt im EU-Parlament die Schriftliche Erklärung 0055/2015 aus, die von Mitgliedern der SPD-, FDP- und der kommunistischen Fraktion vorbereitet wurde. Darin heißt es: »Das Recht auf ein Leben in Würde bedingt das Recht, in Würde zu sterben. Alle europäischen Bürger, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die an einer unheilbaren Krankheit im fortgeschrittenen oder Endstadium leiden, die zu unerträglichem körperlichen oder psychischen Leiden führt, das nicht gelindert werden kann, sollten die Möglichkeit haben, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, um ihr Leben in Würde zu beenden.«
Auf EU-Ebene geht es darum, die Sterbehilfe supranational zu legalisieren, denn weiter heißt es: »Die Kommission wird aufgefordert, den Austausch von bewährten Verfahren in Bezug auf die gesundheitliche Betreuung am Lebensende unter den Mitgliedstaaten zu fördern, damit die Menschenwürde aller Bürger am Lebensende sichergestellt wird.« Auch viele Abgeordnete des Bundestages fordern bereits eine »professionelle« Suizidunterstützung durch die Ärzteschaft. Langsam aber stetig wird die Suizidbeihilfe zu einem gesellschaftlich akzeptierten »Angebot« am Lebensende, zu einer Art Zusatzleistung. Die von der Abtreibung bekannte Eskalation wiederholt sich.
Wer solche Tötungen legitimieren will, spricht freilich von »Selbstbestimmung am Lebensende«. Und das, obwohl die Fähigkeit zur Selbstbestimmung niemals so sehr beeinträchtigt ist wie unter Bedingungen, die den Menschen suizidal stimmen. Suizid und Selbstbestimmung schließen sich in Wahrheit aus. Wie will man künftig sicherstellen, dass der Suizidwunsch nicht von nahestehenden Personen erzeugt oder gefördert wurde? Nach Eintritt des Todes lässt sich kaum noch klären, ob eine strafbare Handlung zu ahnden wäre. Eine solche Rechtsunsicherheit inmitten eines Rechtsstaates ist skandalös.
Bereits im Sommer hatte der wissenschaftliche Dienst des Bundestages alle Gesetzentwürfe mit Ausnahme des Sterbehilfeverbots von Sensburg und Dörflinger mangels Bestimmtheit als verfassungswidrig kritisiert. Denn, was heißt »geschäftsmäßig«? Was heißt »auf Wiederholung« angelegt? Wer sind nahestehende Personen? Darüber hinaus sei der Bund für Eingriffe in das ärztliche Standesrecht gar nicht zuständig, sondern die Landesärztekammern bzw. die Länder.
Schon heute heißt es: »Wozu noch leiden …? Wozu das Leid anderer noch ertragen und ihnen beistehen …?« Aus dem Recht auf ein »menschenwürdiges« Sterben folgt zwangsläufig eine Pflicht zum Sterben, um den anderen nicht länger zur Last zu fallen. Bis 2050 soll sich die Gesamtzahl der gegenwärtig 2,4 Millionen Pflegebedürftigen auf 4,7 Millionen erhöhen. Es droht eine Finanzierungslücke von zwei Billionen Euro. Dass die Legalisierung der Suizidhilfe mit diesem Problem etwas zu tun hat, ist daran zu erkennen, dass die Zweiklassenmedizin schon lange kein Thema mehr ist. Sie wäre ja ungerecht. Die Zahlen werfen auf die Rede von Selbstbestimmung und Menschenwürde jedenfalls ein ganz anderes Licht. Wenn möglichst viele Menschen freiwillig sterben, bevor ihre Krankheit zu teuer wird, löst die »regulierte Selbstregulierung« die kommenden Finanzierungsprobleme ds Gesundheitswesens. Wir gehen gespenstischen Zeiten entgegen.
Nicht nur plaudernd in seinen aktuellen Interviews lässt Falk Richter erkennen, dass er von Politik keine Ahnung hat. Auch auf der Bühne muss er es uns beweisen. Ein ganzes halbes Jahr, so behauptet er, habe er sich kundig gemacht, was es mit dem »ungehemmten« Hass auf sich hat, der jetzt in aller Welt ist. Er will ja schließlich mitreden und auch ein bisschen mitwarnen und ein bisschen mitverurteilen. Dabei hat sich der Schreiberling verrannt. Beim monatelangen Rumdaddeln auf der Tastatur scheint Richter vor allem seine eigenen Vorurteile gemästet zu haben. Das Ergebnis kommt als Theaterstück daher, und in seinen Zutaten aus lauter echten Menschen, einem gläsernem Wachhäuschen, kakophonischer Orchestrierung und apokalyptischen Videosequenzen mag es das heutzutage auch sein. Zusammengerührt zur antibraunen Soße ergeben diese Zutaten aber nicht mehr als einen traurigen Offenbarungseid.
An Einfalt ist dieses Stücks nicht mehr zu unterbieten. Platons Esel, die in der Spätphase der Demokratie stolz auf der Straße einherschreiten, sind auf der Theaterbühne angekommen, wo sie ihr Torkeln für Tanz halten, ihr Gebrüll für Worte und ihre Instinkte für Gedanken. Zwei Stunden dauert dieses Agitprop-Stück, das – nein und abermals nein! – auch im Sinne des sozialistischen Realismus keine Kunst ist, vielmehr ein einziges hysterisches Denunziationsgeschwurbel, dem in seinem infantilen Vernichtungsübereifer alles zum Feind wird, was sich nicht brav der eigenen posthistorischen Gemütlichkeitsgeilheit einverleiben lässt. Nein, das ist nicht »Kunst als Waffe«, das ist die Waffel, die zu Farbbeutel und Brandsatz wird, das ist die subventionsgestützte, heuchlerische Vorstufe zur Barbarei, die als spießige Nabelschau daherkommt, in der jeder immer schon am Ziel seiner Wünsche angekommen sein könnte, wenn, ja, wenn nur alle ungestört labern, schlurfen, kiffen, mit jedem ein Kind machen und die Natur in die Stadt zurückholen dürften. Und wenn sie, ganz wichtig, den anderen – das sind wohlgemerkt ALLE, die anders sind –, endlich die verdiente Kugel in den Kopf geschossen haben. Ich übertreibe kein bisschen.
»Fear« ist auch kein Dokumentartheater. Es ist durch und durch genau das, was es glaubt angreifen und vernichten zu müssen: Angst und Hass. Angst vor allen anderen und Hass auf alles andere, auf die Dunkelheit, auf die »Mächte der Finsternis«, auf das Böse schlechthin. Die beschränkten, arroganten Schluffis, die Richter in Serie produziert, sind natürlich viel zu aufgeklärt, als dass sie noch an die Ursünde glauben würden, aber sie sind nicht klug genug, ihre Idee der Gleichheit, die immer auch fürs Moralische gilt oder für gar nichts, nur ein einziges Mal auf sich selbst anzuwenden. Sie sind sich wirklich nicht zu blöde, das Böse nur in den anderen zu entdecken. Immer schön mit dem Finger auf die Faschos von der »Demo für alle« zeigen, und schon muss jeder dran glauben, der’s irgendwie verdient hat. Ist ja auch nicht schwer, seit das Bestmenschentum mit der Holocaustanklage und dem Antifaschismus unterm Arm das moralische Schmarotzertum bis zum Sanktnimmerleinstag institutionalisieren darf, als selbsternannte Stellvertreterherrschaft der Opfer von einst – ein einziges intellektuelles Weltverbesserungsprogramm auf Hartz IV-Basis sozusagen.
Der Feind, das ist auf ewig der Geist von »gestern«, der, wie auch Richter uns belehrt, schon an Weltkrieg I & II schuld war. Der Feind, das ist so gut wie alles. Der Feind reicht vom lauten Akif Pirinçci bis zur leisen Beate Zschäpe, von all den schlimmen Abtreibungsgegnern und Gender-Kritikern über die AfD und Pegida bis hin zum NSU, von Viktor Orbán, Gabriele Kuby und Horst Seehofer über Anders Breivik und das europäische Restchristentum bis hin zur ganz alltäglichen, rührigen, westlichen Kulturpflege – noch so eine nervige Neuauflage des Konservatismus. Es leuchtet absolut ein, dass bei dieser Zusammenstellung nicht nur die Staatspräsidenten mit den Buchautoren und die Lebensschützer mit den Terroristen in einen Topf gehören, sondern dass die schlimmste aus diesem bunten Teufelsstall eine gewählte, konservativ-libertäre Europaabgeordnete namens Beatrix von Storch mit ihren weiteren, genüsslich zitierten Vornamen Amelie, Ehrengard und Eilika ist, deren Großvater im Dritten Reich Finanzminister war. Diese von Richter so reflexhaft wie gedankenlos auch geistig gedeutete Genealogie führt vom Heute zurück ins Dritte Reich. Frau von Storch hat es nicht nur versäumt, den Anfängen zu wehren, sondern auch der Mitte und dem Ende. Das hat aber nicht einmal dem Autor selbst auf Anhieb eingeleuchtet, weshalb er sie in einer düsteren Nacht-und-Nebel-Inzest-Szene ihren Leib »zur Flügeltür hin öffnen« und sie sich ihrem Vorfahr hingeben lässt, was ja nichts anderes bedeutet, als dass die vorausgesetzte Infektion mit dem verworfensten Ungeist der Menschheitsgeschichte mindestens erneuert und die gebürtige Herzogin von Oldenburg als das freiwillige Opfer einer vermeintlich erblichen Kontamination auf der Bühne erst eingeführt werden muss.
Es geht fast ausschließlich um lebende Personen, die mit Klarnamen, Porträtfotos und in einem Fall auch mit ihrer Büroadresse zu Freiwild erklärt werden. Es geht um eine ganze Liste vornehmlich weiblicher Feinde, die auf der Bühne um die Namen und Porträts von Birgit Kelle, Hedwig von Beverfoerde, Bettina Röhl, Erika Steinbach und Eva Hermann ergänzt werden. Ihnen allen hat man auf den deutlich sichtbaren und ausreichend großen Fahndungsfotos die Augen ausgestochen, um den Zuschauern – welches Bedürfnis und welche Aufforderung mit auf den Weg zu geben? Die Rede ist von einer »kaputten Landschaft«, in der »diese grauenhaften Monster« als »Untote aus ihren Gräbern steigen« und »ihr Unwesen treiben«, von einer dieserart erfolgenden »Rezombiisierung des Abendlandes«, wobei man sich unwillkürlich fragt, was daran so schlimm ist, wenn dieselben Leute, die diese Entwicklung mit Krokodilstränen beklagen, dem kostbaren Abendland bei jeder anderen Gelegenheit in den Hintern treten.
Das Ensemble führt sich auf wie ein Haufen ungeliebter, vergessener und verwahrloster Kinder, die sich zu einer Gang zusammengerottet haben, um alle gemeinsam mit dem Hammer auf die letzten helfenden Hände einzuschlagen, die sich ihnen entgegenstrecken könnten. Sie selbst sehen überall »nur alte Leute«, »überfettete, stiernackige Männer« und »wenig junge Frauen«. Die Videoleinwand zeigt Feuer, Feuer und nochmal Feuer. Bevor dieses apokalyptische Weltbild in die Sprengung von Hochhäusern übergeht, wird unsere als unbeweglich und »wahnsinnig fett« beschriebene autochthone Bevölkerung, also wir selbst, mit einer derangierten, faul herumliegenden und Klebstoff schnüffelnden Ureinwohnerschaft Australiens in eins gesetzt, auf dass sich der vorgeblich zu bekämpfende Rassismus gegen die fremden und die eigenen Leute zugleich wende.
Als Krönung des Ganzen will die »schreckliche, adelige Krähe namens Hedwig« zusammen mit der angeblichen Hetzrednerin, Schwulen- und Ausländerhasserin Gabriele Kuby das Abendland in jenen »katholischen Angstzwangsapparat« zurückverwandeln, das es angeblich einmal war. Der Feind waltet offenbar so abgründig, so total und so vernichtend, dass sich plötzlich die Frage stellt: Wer hat hier eigentlich Angst vor wem und wovor? Psychoanalytisch gesprochen feiert Richters Stück die bis zum Platzen aufgeblasene Bösartigkeit der anderen als heiß ersehnte Legitimation, das eigene nationalsozialistische Introjekt endlich von der Leine lassen zu dürfen. Die inkriminierten Damen sind »Zombies«. Und »der Zombie stirbt nur, wenn man ihm direkt ins Gehirn schießt«. Das ist der sprechende Tiefpunkt des hasserfüllten Abends, der Hannah Arendts siebzig Jahre alte Frage, ob ein Holocaust mit einem Holocaust bestraft werden könnte oder sollte, auf seine eigene Weise beantwortet.
Die vielen »Zombies« sind Auferstandene, von denen man dachte, dass sie längst tot seien. Die Reden der sich selbst für rational und aufgeklärt haltenden Richter-Figuren zielen auf »Diskursgräber des Rassenhasses und der Homophobie«, auf Geister, die, je untoter sie sind, desto gewaltsamer bekämpft werden müssen: »Wie töten wir Argumente, die längst schon gestorben sind?« Die dumpfe Rollenprosa geht über von einer fiktiven Kuby-Rede in die Bekämpfung des Ungeistes mit seinen ihm unterstellten ureigenen Mitteln, bis nicht mehr zu erkennen ist, wer da eigentlich »Faschistinnen und Faschisten« braucht und wer da eigentlich nach dem totalen Staat ruft, der allein alles wieder in den Griff kriegen würde. Die Verwirrung wird gesteigert, bis nicht mehr zu erkennen ist, ob die Guten noch die Guten oder am Ende selbst die Bösen sind. Daraus hätte ein Kunstgriff werden können.
Damit aber keiner vergisst, was zu tun ist, wird er sofort wieder kassiert, indem ein Laubbläser die Fotos der Angeklagten in die Ecke fegt, die als »Monster« und »Dämonen« sich »verpissen« und »unter die Erde zurückkehren« sollen. Konklusion: Die selbsternannten Ankläger, die all den »Selektionsfanatikern« den Schaubühnenprozess machen, outen sich als kreischende Hysteriker einer noch viel größeren, noch viel radikaleren und noch viel gerechtfertigteren Selektion. Ist ja auch irgendwie logisch, dass man Menschen, die »Angst erzeugen«, »Hass säen« und andere »Menschen vernichten«, selber vernichten muss, bevor der Joint aufgeraucht ist. Noch in der Premierennacht vom 25. auf den 26. Oktober brannte das Auto von Beatrix von Storch und etwas später auch das von Hedwig von Beverfoerde. Zuletzt folgte ein Anschlag auf das Abgeordnetenbüro von Storchs.
Eine der Titelideen für das Machwerk jenes Theaters, das einst eine wahre Schaubühne für das Präzise, Tiefe und Schöne war, lautete »Hässliche, hassende Frauen«, eine andere »Die Herzogin von Oldenburg«, denn sie, so dachte sich Richter erklärtermaßen, habe das größte Potential für eine »dramatische Figur«. In Wahrheit hat sie einfach den größten politischen Erfolg. Zu Richters scheinästhetischer Mitteilung aber gackert ein Huhn und lacht das Publikum. Schließlich sitzt also in einer nächtlichen Phantasie Frau von Storch am Schreibtisch des Reichsfinanzministers Ludwig Graf Schwerin von Krosigk und zählt ihre Spendengelder, die sie selbstverständlich an jenem Fiskus vorbeischmuggeln will, der die mordgeilen Bubis von der Schauprozessbühne ernährt. Wollüstig fordert von Storch den Geistkörper ihres Großvaters auf, in sie einzudringen: »Der kalte, eisige Hauch der Selektion weht durch das Schloss von Oldenburg«, und da ist es natürlich ein einziger »Horror!«, diese Frau am Prenzlauer Berg auf offener Straße zu treffen.
Ein kluger Mann sagte mir dieser Tage, dass er nichts von dem Vorwurf der geistigen Brandstiftung halte; für ihn zählten Straftaten und sonst nichts. Umso dringlicher stelle sich aber die Frage, warum dieselben Leute, die proselytenmacherisch immerzu die »geistige Brandstiftung« anprangern, damit durchkommen, sich selbst unter Berufung auf die Freiheit der Kunst aus der Affäre zu ziehen, noch dazu, während auf ihre deutlichen Worte unmittelbar die von der Presse kaum beachteten Untaten folgen. Eine gute Frage. Ich denke, es kann kein Zweifel mehr bestehen, dass der steuerfinanzierte exterminatorische Furor so schnell wie möglich von der Bühne auf die Straße überspringen soll, dass nicht etwa lange, sondern kurz und gründlich gefackelt werden soll – feige, mit schwarzer Strickmaske, im Schutz der nächtlichen Dunkelheit und anschließendem Bekennerhohn im Internet, der nicht einmal zur Abmahnung führt. Es macht einfach viel zu viel Spaß, immer nur die anderen zum Gesichtzeigen aufzufordern, die ja so dumm sind, es auch zu tun und ihre mutige Einheitstat für das Ende der Geschichte zu halten.
In Wahrheit ist Falk Richters Stück »Fear« das zeitgemäße Dokument des panisch phantasierenden und delirierenden Posthistoire, einer Zeit, in der es die gesellschaftliche Wirklichkeit, auf die sich die »hässlichen, hassenden Hasspredigerinnen« mit welchen streitbaren Meinungen auch immer beziehen, überhaupt nicht gibt oder wenn doch, dann nur in Gestalt der angeklagten Seherinnen, die irgendeine kostbare Friedhofsruhe stören wie das Barometer, das den kommenden Sturm ankündigt, den vollendeten Genuss des lauen Sommerabends stört. In diesem immer schon befriedeten, hedonistischen, mit erneuerbaren Energien wie mit sprudelnden Steuergeldern bis zum Jüngsten Tag versorgten Arkadien ist das einzig wirkliche Problem der Zombie. Er erinnert sehr an die Femen, die aber natürlich nicht gemeint sind.
In dieser theoretisch heilen Welt ist das wirkliche Problem nicht die millionenfache Abtreibung, nicht die schulische Frühsexualisierung, nicht die niedrigste Geburtenrate der Welt, nicht die größte Flüchtlingswelle der neueren Geschichte, nicht der bevorstehende Finanzcrash des Westens, nicht der in Krieg und Bürgerkrieg versinkende Nahe Osten, nicht der beginnende globale Verteilungskampf um Wasser, Nahrung, Energie und Rohstoffe, auch nicht die Kriegslust, die Europa wieder heimsucht, und schon gar nicht ist es die Frage, wie es uns allen mit ein, zwei oder drei oder noch mehr Millionen Flüchtlingen gehen wird, von denen gegenwärtig niemand weiß, wer sie im einzelnen sind, was sie im einzelnen von uns wollen oder erwarten und wo sich Hunderttausende von ihnen gerade aufhalten.
»Fear« ist selbst nur ein Dokument der Angst gewisser selbstvergessener Sektierer, von der Geschichte überrollt oder besser gesagt in einer Zwei-Fronten-Stellung hoffnungslos aufgerieben zu werden. Auf der einen Seite von Millionen Flüchtlingen, von denen sich kaum ein einziger für diese verpeilten und sich kaum noch reproduzierenden Manichäer interessieren wird, und auf der anderen Seite von dem unübersehbaren Erfolg einer politischen Bürgerbewegung, dem die beschränkten Auftragskünstler nichts Vergleichbares entgegenzusetzen haben. Wobei sich Autochthone und Ausländer ganz gewiss auf beiden Seiten der kommenden Auseinandersetzungen wiederfinden werden … Wo aber sind denn die zwanzig- oder dreißigtausend Demonstranten FÜR Frühsexualisierung, FÜR die Homo-Ehe, FÜR die Flüchtlingswelle, FÜR millionenfache Abtreibung, FÜR die weltweit niedrigste Geburtenrate der Deutschen, FÜR die Legalisierung der Leihmutterschaft oder FÜR den Niedergang des christlichen Abendlandes? Wo sind sie denn?
Wir haben sie bisher nicht gesehen, und wir werden sie auch in Zukunft nicht mehr sehen. Außer Rumnölen, Abhängen und die neuen Volxfeinde Denunzieren wissen diese Leute weder, was sie wollen, noch was sie wollen könnten, um ganz zu schweigen von einem Programm, das noch irgendjemanden hinter dem Ofen hevorlocken würde, dem nicht zugleich ein Häuflein Staatsknete versprochen wird. Der arme Heiner Müller jedenfalls, mit dem die mordlüsternen Bubis im Geiste eine Flasche Whiskey trinken und die obligatorische Zigarre rauchen, Heiner Müller, der klarer und weiter gesehen hat als tausend Falk Richters zusammen, dieser Heiner Müller jedenfalls würde für eine solche Mischpoke nur ein müdes Lächeln übrig gehabt haben. Sie kann machen, was sie will. Eine Zukunft hat sie nicht, und das allein macht sie so wütend.
»Zuhause, ich weiß gar nicht, was das ist, noch weniger als Heimat«, lautet einer der ersten Sätze dieses Abends. Als er zu Ende war, fragte ich ohne Umschweife eine ältere Dame, ob das Stücklein ihr gefallen habe, und zwar so, dass sie meine Meinung mühelos erraten konnte. Es hatte ihr durchaus gefallen. Aber kaum hatte ich sie angesprochen, lächelte sie unsicher und wollte sie nicht Ja sagen und nicht Nein. Fast unmerklich nickte sie mit dem Kopf, während sie ihn zugleich ein wenig hin und her drehte. Plötzlich wusste sie nicht mehr, auf welche Seite sie sich schlagen sollte. Wortlos ging sie weiter und verschwand.
Mehr Rechte hier, mehr Gleichstellung dort: Interessenverbände vertreten die Anliegen ihrer Mitglieder. Zweifelsohne dürfen sie das, doch kritisch wird ein solcher Einsatz immer dann, wenn er den Eindruck erweckt, für eine ganze Gruppe sprechen zu wollen – oder ideologisch einseitige Forderungen zu stellen. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) hat es sich zur Aufgabe gemacht, Homosexuellen in Deutschland weitere Gleichberechtigung zukommen zu lassen. Mit Nachdruck und Engagement werden nahezu täglich neue Missstände aufgezeigt und Appelle gegen die angeblich noch immer stark ausgeprägte Diskriminierung Schwuler und Lesben gerichtet.
Ich bin selbst schwul – und stehe deshalb nicht im Verdacht, einen Verband zu kritisieren, der überhaupt nicht mein Klientel repräsentieren würde und von dem ich keine Ahnung hätte. Im Gegenteil: Ich sehe mich als Verfechter für die Anliegen Homosexueller. Und trotzdem bin ich nun aus dem LSVD ausgetreten. Warum? Ich formulierte es vor kurzem mit einer schon nahezu abgedroschenen Floskel: »Nicht die, die besonders laut schreien, müssen immer Recht haben.« Denn diesen Eindruck erweckt der Lesben- und Schwulenverband seit Jahren auf mich. Nahezu das Mitleid von Politik und Bevölkerung, Menschenrechtlern und Antidiskriminierungsstellen provozierende Aussagen sind nicht das, was für mich eine gute Interessenvertretung ausmacht.
Ein Mitstreiter erklärte mir vor einiger Zeit, es müsse das Ziel der Schwulen- und Lesbenbewegung sein, mindestens die gleichen Rechte für Homosexuelle zu erreichen wie für die restliche Bevölkerung. Mindestens genauso viele Rechte wie für andere Bürger? Nein, ich möchte nicht »besser« behandelt werden wie der Heterosexuelle aus der Nachbarschaft – denn ich habe keine besondere Fürsorge nötig. Strukturelle Folter und Gewalt gibt es gegenüber Homosexuellen in Deutschland glücklicherweise schon seit längerem nicht mehr. Und trotzdem beschleicht mich die Wahrnehmung, dass gerade eine zugespitzte, weit übertriebene Darstellung der Dinge Verantwortliche in der Gesellschaft unter Druck setzen soll. »Seht her, wie schlecht es uns Schwulen und Lesben doch geht«, könnte man die Eindrücke zusammenfassen, die man beim Lesen von Veröffentlichungen des LSVD erhält.
Ich frage mich, wie ein Miteinander funktionieren soll, wenn jeder Interessenverband der vielen Minderheiten in Deutschland derart offensiv seine Sichtweisen vertreten würde, wie es der LSVD tut. Es geht nicht schnell und weit genug, was die Politiker beschließen. Es reicht nicht aus, was an großen Schritten bereits erreicht wurde. Ob »Homo-Ehe«, Steuergleichheit oder Adoptionsrecht – wenn es nach dem LSVD ginge, wäre all das schon vorgestern umgesetzt worden. Ohne Rücksicht darauf, dass eine Gesellschaft auch Zeit benötigt, Veränderungen anzuerkennen. Das Grundgesetz garantiert uns allen Würde und sichert auch zu, niemanden zu benachteiligen. Natürlich ist der Status von Schwulen und Lesben in verschiedenen Bereichen noch nicht der, den Heterosexuelle ganz selbstverständlich erreichen. Aber können wir von einer strukturierten und gar systematischen Herabwürdigung sprechen, die Homosexuellen quer durch die Lande zuteilwird? Und was verstehen wir eigentlich unter Nichtachtung? Ist beispielsweise das Festhalten an der verschiedengeschlechtlichen Ehe als Idealtypus des Zusammenlebens und des Ortes von Fortpflanzung gleichzusetzen mit einer Diskriminierung homosexueller Partnerschaften?
Wir sind heutzutage rasch dabei, uns über Ausgrenzung zu beschweren. Dort, wo nicht alles gleich ist, scheinen zwangsläufig Schmähungen zu herrschen. Ich weiß nicht, ob der LSVD tatsächlich für alle Lesben und Schwule in Deutschland spricht, wenn er einerseits Toleranz einfordert – andererseits gerade Homosexuelle aber selbst am besten wissen, wie intolerant es in den eigenen Reihen zugeht. Oberflächlichkeit prägt oftmals das Miteinander. Der Körperkult entscheidet über den Wert eines Menschen. Und beim CSD betreiben wir eine Sexualisierung – von einer politischen Demonstration sind nackte Oberkörper und der Wettbewerb um das schönste Kostüm geblieben. Nein, nicht nur die ältere Generation nimmt daran Anstoß – auch ich stehe immer wieder irritiert am Straßenrand, wenn mitten im Sommer vermeintliche Karnevalszüge an mir entlangrauschen. Schwule und Lesben wollen ein gleichwertiger Teil der Gemeinschaft sein – und setzen dennoch immer wieder darauf, Vorurteile zu bedienen und eine Parallelwelt (die bekannte und unter Homosexuellen gleichsam verpönte wie geliebte »Szene«) aufrechtzuerhalten.
Man schreibt mir die Eigenschaft zu, in vielen Fragen »konservativ« zu sein. Und ja: Ich halte durchaus an Traditionen fest – und habe zumindest Verständnis dafür, dass Normvorstellungen nicht von jetzt auf nachher wandlungsfähig sind. Gerade der LSVD spricht immer wieder von der Vielfalt – in Wirklichkeit verfolgt er nicht nur eine Gleichmacherei, sondern den Versuch, seiner Sicht eine pauschale und unumstößliche Verbindlichkeit zu verleihen. Kritische Meinungen über das Konzept des Verbandes sind nicht willkommen. Die Mitarbeit von Mitgliedern, die nicht »auf Linie sind«, scheint nicht gewollt. Sprachlosigkeit gegenüber differenziert Denkenden ist auch eine Form der Missachtung. Und sie habe ich im LSVD so erlebt: Zurücksetzung gerade dort, wo die Freiheiten der Demokratie bis auf das Letzte ausgereizt werden sollen. Ein Verband, der über seine Weltanschauung nicht zu reflektieren bereit ist und keinen Hehl aus seiner eindeutigen politischen Gesinnung macht, braucht aus meiner Sicht ein Gegengewicht. Denn ich weiß, dass ich nicht der einzige »bürgerliche Schwule« in diesem Land bin …
Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Internetplattformn »Freie Welt«. Der Autor ist zu erreichen unter: email 〈at〉 riehle-dennis.de
]]>
… MVB behält sich vor, Aufträge – auch einzelne Abrufe im Rahmen eines Abschlusses – und Beilagenaufträge abzulehnen, wenn gegen das mit dem Auftrag zu bewerbende Werk ein der Anzeigenabteilung zur Kenntnis gekommener Rechtstitel vorliegt, die Anzeige oder das Advertorial offensichtlich wettbewerbswidrig ist oder deren Inhalt sonst gegen Gesetze, behördliche Bestimmungen oder die guten Sitten verstößt oder deren Veröffentlichung für MVB unzumutbar ist. Aufträge können auch zurückgewiesen werden, wenn die begründete Annahme besteht, dass durch sie die Gefühle eines nicht unerheblichen Teils der Leser verletzt werden. … Mit freundlichen Grüßen …
Wohlgemerkt bezieht sich dieses Schreiben nicht auf eine weitere Anzeige zur Bewerbung unseres Pirinçci-Titels, sondern meines eigenen Buches mit dem Titel Homosexualität gibt es nicht. Abschied von einem leeren Versprechen. Zu diesem Buch wird uns mutmaßlich ohne Kenntnis des Inhalts so unentschieden und unverbindlich wie nur irgend möglich mitgeteilt, dass (was nun eigentlich?) ein Verstoß gegen »behördliche Bestimmungen« oder die »guten Sitten« vorliege oder dass die begründete Annahme bestehe, dass durch unsere Anzeige »die Gefühle eines nicht unerheblichen Teils der Leser verletzt werden«. Es geht also um Gefühle, was dummerweise Pirinçcis These von der »großen Verschwulung« aufs Zarteste bestätigt. Chefredakteur Torsten Casimir wird von queer.de mit den Worten zitiert: »Nach den Ereignissen der vergangenen Tage wäre mir wohler, wir hätten für Pirinçcis Buch keine Verbreitungshilfe geleistet.« Schließlich hatten sich die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, der »Querverleger« Jim Baker und der ebenfalls einschlägig ausgerichtete Bruno Gmünder Verlag beschwert. Gefühle geben den Ton an, vor allem verletzte Gefühle vorhersehbarer, interessierter Herkunft. Queer.de spricht denn auch von dem »nicht weniger unsäglichen Titel Homosexualität gibt es nicht von Verlagsleiter Andreas Lombard«. Das wird mal so in den Raum gestellt, es wird genug Leute geben, die’s ohne weitere Prüfung nachempfinden können. Um dem Wesen dieser Gefühle auf die Spur zu kommen, müssen wir uns bis dato wiederum auf queer.de stützen. Dort werden »die 16 dümmsten und widerlichsten Zitate aus Die große Verschwulung« wiedergegeben, Aussagen, die cum grano salis vor zwanzig Jahren noch für selbstverständliche Banalitäten gehalten worden wären. Ein Kunde des Manuscriptum-Verlags schrieb heute: »Es graust einen geradezu vor diesem hysterisch gewordenen Land, in dem die Einheimischen zu den neuen Fremden werden.« Ich übersetze wie folgt: Es graust einen geradezu vor diesem hysterisch gewordenen Land, in dem die Normalen zu den neuen Perversen gemacht werden.
]]>Der Kampf für die Gleichberechtigung der Homosexualität erweckt den Eindruck, als hinge es allein vom guten Willen der Gesellschaft ab, diese Form der romantischen Liebe mit dem Alltag und dem wirklichen Leben zu versöhnen. Das Drama der unglücklich Liebenden namens Romeo und Julia, die wegen der Feindschaft ihrer Familien nicht zueinanderkamen, gilt manchen als das Schwulendrama schlechthin, wenn es nicht schon Tristan und Isolde ist. Wo früher die böse, verblendete Gesellschaft schuld war, naht die Hilfe unserer Zeit, und prompt scheinen die altmodischen Schwierigkeiten endlich überwunden zu sein. Die bevorstehende Synthese von Alltag und romantischer Liebe wird nur noch von den allerletzten Hindernissen des Vorurteils und der Natur aufgehalten. Soviel glauben wir bereits zu erkennen: dass die alten Hindernisse keine mehr sind. Wollen und Können werden es schon richten, sagen sich die Zeitgenossen, sobald nur die letzten Reste von Homophobie beseitigt wurden und die katholische Kirche auch noch mit ins Boot steigt. Die ehehinderlichen Familienfehden haben wir außerhalb der großstädtischen No-go-Areas wirklich überwunden. Dafür fehlt uns aber ein Shakespeare, der jetzt die liebesfeindlichen Interessen der Emanzipation von Singles aufzeigen und das Drama unserer genderistischen Geschlechterapartheid schreiben würde.
Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat die Ehe von Mann und Frau schon preisgegeben, seit es nicht mehr fragt, was Homosexualität und Heterosexualität sind, sondern wie jene so dargestellt werden könnte, dass sie sich von dieser nicht mehr beleidigt fühlt. Die homosexuelle Unfruchtbarkeit soll verschwinden wie die Taube im Ärmel des Zauberers, und zu diesem Zweck hat das ZdK die Abkehr von der »Defizitorientierung« (böser Blick!) erfunden und durch den »ressourcenorientierten Zugang« der personalen Wertegemeinschaft ersetzt – keine Werbeagentur hätt’s besser gekonnt, Neubewertung von wilder Ehe und Abtreibung inklusive. Als ob die Kirche das Gespräch erst erfinden müsste, lautet die Parole für die Familienpastoral jetzt »Zuhören statt Belehren«. Auch das ZdK lässt von nun an alles mal so stehen und gibt sich dem ethischen Relativismus hin, der sich auffallend einheitlicher und dogmatischer Sprachregelungen bedient.
Das alles verspricht nichts Geringes. Die Verachtung der klassischen Ehe und die Verherrlichung der Leidenschaft werden zu einem vermeintlich realitätstauglichen Ideal verschmolzen, bei dem alle auf ihre Kosten kommen. In Wirklichkeit tun das zwar nicht einmal die Homosexuellen selbst, wie die ernüchternden Zahlen zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaft und zu den Möglichkeiten gleichgeschlechtlicher Adoption zeigen, aber auf die Zahlen kommt es auch nicht an. Ganz im Gegenteil, je weniger das Ideal in die Wirklichkeit herabsteigt und konkret wird, desto größer bleibt die Hoffnung, dass diese Konkretion eine wirkliche Möglichkeit darstellt, wenn, ja wenn nur eines fernen Tages endlich die vorletzten, dann die letzten und schließlich auch die allerletzten technischen, gesellschaftlichen oder finanziellen Barrikaden beseitigt worden sind. Da sie durchweg künstlich gemacht zu sein scheinen (als unnötig gelten sie ohnedies), können sie mit einem ausreichenden Maß an Aufklärung und Volkspädagogik prinzipiell überwunden werden. Erlösung ist machbar. Allerdings ‒ je leichter es wird, jene Hindernisse tatsächlich zu beseitigen, desto unerträglicher werden die verbleibenden Enttäuschungen und desto mehr Schwierigkeiten in Form hartnäckiger Homophobie muss es geben, weil das Gesetz des Idealismus es will, dass die Realisierung ebenso greifbar nah rückt wie unerreichbar fern bleibt.
Die Emanzipationshoffnung erinnert an die unendliche Annäherung der Bogenlinie an die Gerade. Ein solcher Prozess kommt nie zu einem Ende, aber das Ende rückt immer näher wie die erwartete Parusie, die endlich erreichbare Gegenwart Gottes. Diese Hoffnung ist, wie bereits erwähnt, eine mystische: »Jeder Erotomane ist ein Mystiker, ohne es selbst zu wissen.« (Denis de Rougemont) Die Liebe, die er feiert, hat ein altes Vorbild. Es ist die höfische Liebe, der Minnesang. Damit ist nicht gemeint, dass die Homosexuellen zu Minnesängern mutieren würden, sondern ein Liebesideal, das von der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft dankbar, ja begierig aufgegriffen, genährt und mitgetragen wird, weil es die Hoffnung verspricht, dass sie aus ihrer unbefriedigenden Lage befreit würde.
Die Mehrheit braucht ja die Idee der Gleichheit, die beidseitig verwendbar ist, nur auf sich selbst anzuwenden, auf ihre Gleichheit mit den Homosexuellen, und schon ist alles, was in Sachen Homosexualität verhandelt wird, auch ihre eigene Angelegenheit: Tua res agitur. Das Ideal verspricht eine Wiederbelebung des sterbenden Eros, verspricht die Möglichkeit, mit dem Eros ins Unendliche zu gehen, ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren, es verspricht ein Begehren jenseits des körperlich Möglichen, als könnte der nächtliche Reiz des Sexus den Weg zur Wahrheit und zum Licht ebnen, und dies umso mehr, als die neuen, immer näher kommenden, irgendwie bürgerlichen Verankerungen der Homosexualität die ganz konkrete Diesseitigkeit dieses Versprechens zu verbürgen scheinen. Je unähnlicher die bürgerliche Ehe sich selbst wird, desto leichter scheint sie von der Homo-Ehe belebt und beerbt zu werden.
Wie ist es aber möglich, die Emanzipation der Homosexuellen als eine ziemlich unzeitgemäße Vergegenwärtigung der höfischen Liebe zu interpretieren, wenn jene gerade nicht die keusche Verehrung der innig geliebten, aber unerreichbaren Dame in den Mittelpunkt stellt, sondern das ziemlich handfeste und hemmungslose Ausleben des sexuellen Begehrens? Das ist, wie schon Johan Huizinga in seinem Buch Herbst des Mittelalters gezeigt hat (auf das sich Denis de Rougemont ausdrücklich bezieht), kein Widerspruch. Das Ideal der Keuschheit, das die höfische Liebe errichtete, war jenseits des Zölibats schon damals nicht realistisch und ist es auch heute nicht: »Wer einen Engel aus sich machen will, macht ein wildes Tier aus sich«, sagt Pascal. Und Rougemont zeigt, dass das Ideal der Keuschheit direkt in das eingangs erwähnte »Ideal der Unkeuschheit« umschlug, das nun wirklich die Sexualität auch unserer Tage leitmotivisch beherrscht. Der häufig zu beobachtende Schwule mit seiner keusch geliebten mütterlichen Freundin bedarf der Triebabfuhr umso nötiger.
Schon bei Huizinga heißt es: »Jenes Genre, wo Männer niemals erschöpft und die Frauen allzeit willig sind, ist ebensogut wie die edelste höfische Minne eine romantische Fiktion. Was anderes als Romantik ist die feige Vernachlässigung aller natürlichen und gesellschaftlichen Komplikationen der Liebe, die Bemäntelung alles Lügenhaften, Selbstsüchtigen und Tragischen im Geschlechtsleben mit dem schönen Schein eines ungestörten Vergnügens. Auch hier herrscht wieder der große Kulturbetrieb: die Sucht nach dem schönen Leben, das Bedürfnis, das Leben schöner zu sehen, als die Wirklichkeit es darbot, daher das Hineinzwingen des Liebeslebens in die Form eines phantastischen Wunsches, jetzt aber durch Übertreibung nach der tierischen Seite hin [Hervorh. von mir; A.L.]. Ein Lebensideal: das Ideal der Unkeuschheit.«
(Ein Auszug aus dem zehnten Kapitel von Homosexualität gibt es nicht)
]]>Am 21. Oktober erscheint nun endlich mein im Laufe der letzten Jahre entstandenes Buch zum Thema Sexualität, Liebe, Ehe und Familie. Nominell handelt es nur von Homosexualität, aber frei nach dem Motto Hanns Eislers, dass, wer nur von Musik etwas versteht, auch davon nichts verstehe, beginnt der ausschweifende Gedankengang dieses Buches bei der festen Überzeugung, dass die schwierigen Fragen, die das Thema Homosexualität aufwirft, im engen Rahmen dieses Phänomens weder verstanden noch beantwortet werden können.
Deshalb behandelt mein Buch gleich mehrere große Themen. Es bezieht nicht nur die romantische Liebe mit ihrem Ursprung in der mittelalterlichen höfischen Liebe und dem Minnekult mit ein, sondern auch die Versprechen der Reproduktionsmedizin, konstitutive Wesenszüge der Massendemokratie und subtilere Fragen der Moderne wie das Unbehagen in der Kultur. Ohne Übertreibung darf ich sagen, dass es sich bei diesem Buch eigentlich um mehrere Bücher in einem handelt, nicht nur inhaltlich, sondern auch, was die Sprachstile und Textgattungen betrifft. Erzählung, Essay, Analyse und ein Anflug von Polemik wechseln einander munter ab. Mit den Büchern ist es ja wie mit den Menschen: Man muss sie nehmen, wie sie sind. Bei aller Skepsis gegen die Vielfalt, die man erleben, aber nicht »leben« kann, bietet dieses Buch vielfältige Ausblicke auf ein in der öffentlichen Wahrnehmung immer einfältiger präsentiertes Phänomen des menschlichen Lebens … Wie gesagt, Erscheinungstermin ist der 21. Oktober 2015.
Zur Ankündigung auf der Homepage des Verlags Manuscriptum geht es hier. Im Presseblatt heißt es: »Früher war die Homosexualität das Thema einer Minderheit. Heute bewegt sie ganze Massen. Die ›breite Akzeptanz‹ kennt keine Ränder und keine Differenz. Homosexualität wurde zum Synonym für eine gesellschaftlich benachteiligte, im Kern aber authentische Leidenschaft. Diese Liebe unter Gleichen, präsentiert als ursprünglich, sexy und unkorrumpierbar, wird zum Jungbrunnen der erschöpften westlichen Gesellschaft. Gleichstellung ist die Brücke in eine Zukunft, in der alle Ressentiments beseitigt sind. Dieser idealen Liebe wird es natürlich an nichts fehlen, nicht an Leidenschaft, nicht an ehelichen Banden und nicht an Kindern. Sie ist immun gegen die Fährnisse des Lebens.
Diese Liebe gibt es nicht. Eine Welt, in der alles gleichwertig erscheint, ist eine Welt voller Fiktionen. Sie umstellen die letzten Wahrheiten: Die Unabdingbarkeit der traditionellen Familie, das Kind als Frucht der natürlichen Zeugung, den Unterschied als Fundament unseres Daseins. Das alles sollen wir vergessen. Die Emanzipation der Homosexuellen führt von der sexuellen Revolution zur Industrialisierung der Liebe, in eine Zukunft, die aus dem Labor kommt. Dieser ›Fortschritt‹ geht uns alles an.
In seinem nachdenklichen und umsichtigen Essay stellt Andreas Lombard die existentiellen Fragen nach dem gelingenden Leben und der Zukunft des Abendlandes. Auf sexuelle Hysterie gibt es für ihn nur eine Antwort: Das Lob des ›kleinen‹ Glücks, das in Wahrheit das große ist.«
]]>Auf die einfachsten Gedanken kommt man immer zuletzt. Wie sich doch Anhänger und Gegner der »Homo-Ehe« gleichermaßen irren können! Einige tapfere Widerspruchsgeister haben jetzt gegen die forcierte Gleichstellung eingewandt, Homosexuelle könnten keine Kinder bekommen. Dieser Unterschied müsse in der Politik des Staates, besonders im Institut der Ehe von Mann und Frau, anerkannt werden. Das Argument ist natürlich nicht falsch. Doch zugleich ist es Wasser auf die Mühlen derer, die inzwischen schon die »Ehe für alle« fordern. Warum?
Der Hinweis auf die »Familiengründungsbehinderung« (Michael Klonovsky) namens Homosexualität ist richtig, aber nur in einer einzigen Hinsicht: Homosexuelle können untereinander keine Kinder zeugen. In diesem Punkt gleichen sie, man höre und staune, aufs Haar allen normal orientierten Männern, die mit ihresgleichen ebenfalls keine Kinder zeugen können. So weit ist die Verwirrung schon vorangeschritten, dass wir diese partiell gleichen Startbedingungen fast vergessen hätten. Mit der Festsellung dieser Gleichheit ist uns der große Unterschied aber bis auf weiteres abhanden gekommen.
Ich erinnere mich an einen schwulen Bekannten, der mir vor ungefähr zehn Jahren davon erzählte, dass er im Begriffe war, Vater zu werden. Er und sein Gefährte waren mit einem lesbischen Paar befreundet, mit dem sie in einer großen Wohngemeinschaft auf dem Land lebten. Eines Tages kamen sie auf die Idee, ein Kind zu zeugen. Gesagt, getan. Sie bereiteten ein schönes Essen, und irgendwann im Laufe des Abends gingen die beiden Männer ins Nebenzimmer, aus dem sie mit einer mehr oder weniger vollen Plastikspritze zurückkehrten, mit der postwendend die beiden Frauen entschwanden. Kurz darauf zeigte sich, dass eine der beiden schwanger war. Sie hatten also den richtigen Tag erwischt. Vielleicht war es schon der zweite Anlauf, das weiß ich nicht mehr so genau. Wenn schon, auch beim großen Rest der Menschheit klappt es nicht immer auf Anhieb.
Ich verzichte an dieser Stelle ausdrücklich darauf, den Vorgang zu bewerten. Angesichts der wachsenden Verwirrung geht es mir um den Hinweis, dass jenes damals gezeugte Kind gute Aussichten hatte, mit beiden leiblichen Elternteilen aufzuwachsen. Das ist nicht wenig. Darüber hinaus sind diverse Komplikationen nicht ganz unwahrscheinlich, denn eine Ehe zu zweit ist bekanntlich schon schwer genug. Und ich vernachlässige hier auch die Tatsache, dass in ähnlichen Fällen oft eine der beiden Seiten der anderen das Kind dauerhaft entzieht (und diese sich das Kind oft auch entziehen lässt), häufiger die lesbische Mutter. Nichtsdestotrotz bringen die halbwegs natürliche Zeugung und die Möglichkeit, dass beide Elternteile bei der Aufzucht des Kindes anwesend sind, aus heutiger Sicht gewisse Vorzüge gegenüber dem jetzt propagierten »Recht auf Kinder« mit sich. Heute geht es darum, die Nachkommen von vornherein künstlich zu zeugen und ihnen wie selbstverständlich ihr Recht auf mindestens eines der leiblichen Elternteile zu nehmen. Weshalb der von Sibylle Lewitscharoff verwendete Begriff »Halbwesen« auch hinsichtlich der eingepreisten und hauptsächlich vom Kind zu tragenden seelischen Kosten absolut treffend gewählt war.
Ich weiß nicht, wie viele Kinder es allein in Berlin gibt, die auf jene Weise gezeugt wurden und in einer solchen Viererkonstellation aufwachsen. Ihre Zahl könnte angesichts der sechsstelligen Zahl homosexueller Berliner ohne weiteres in die Tausende gehen. Ist es da nicht höchst verwunderlich, dass die halbe Welt, praktisch der ganze Westen, ein Problem der Gleichstellung konstruiert, das es überhaupt nicht gibt!? Noch einmal: Das es überhaupt nicht gibt!? Die Anwälte der Homosexuellenrechte sind doch immer die ersten, die darauf verweisen, dass (auch) bei den »Heterosexuellen« Ehe und Fortpflanzung entkoppelt würden und dass demzufolge auch sie Anspruch auf die Ehe hätten. (In Wahrheit ist das Argument natürlich keins, weil immer noch 75 Prozent aller Kinder zusammen mit Vater und Mutter aufwachsen. Aber sei’s drum.)
Die verblüffendste Tatsache für mich, der ich seit Jahren über diese Fragen nachdenke, ist folgende: In einer Zeit, in der Kinder leider allzu häufig außerhalb der Ehe geboren werden, oft auch von Müttern, die schon vor der Geburt vom Vater getrennt leben, stehen Homosexuelle vor fast denselben Schwierigkeiten der Zeugung wie alle anderen auch: sie müssen halt jemanden finden, der es mit ihnen macht. (Man verzeihe mir den zynischen Unterton.) Ist eine solche Partnersuche etwa zu viel verlangt? Fast jeder großstädtische Schwule dürfte früher oder später mehr als eine Frau kennenlernen, die gern ein Kind von ihm bekommen würde.
Wie gesagt, auf die Bewertung dieses »Modells« werde ich an anderer Stelle eingehen. Auch darauf, dass Vater und Mutter in naturrechtlicher Hinsicht immer verheiratet sind, weshalb es von so großem Vorteil ist, wenn sie sich auch lieben und zusammenbleiben … Mir geht es hier und heute ausschließlich darum, dass es jenen eklatanten Unterschied, auf den besonders gerne auch die Gegner der »Homo-Ehe« verweisen, in einer bestimmten Hinsicht nicht gibt. Vielmehr wird im Namen der Gleichheit ein Unterschied herbeigeredet und kräftig aufgeblasen, dessen Beseitigung nicht auf Gleichheit, sondern auf einzigartige Privilegien hinausläuft: Darauf nämlich, dass eine bestimmte Gruppe von Menschen (warum nicht die Radfahrer?) »ihre« Kinder auf dem Silbertablett serviert bekommt. Alle anderen müssen sich schließlich auch dem mühsamen Versuch unterziehen, wenigstens eine Zeugungs- und Aufzuchtgemeinschaft anzubahnen.
Homosexuelle aller Länder! Ihr habt die große Chance, Eure immer schon realisierte Gleichheit zu unterstreichen, indem Ihr dieselben Mühen auf Euch nehmt wie alle anderen Menschen auch! Herzlich Willkommen.
]]>