Was Beziehungsprobleme mit Organspende zu tun haben
Die Dame hinter der Theke des Berliner Cafés sprach zu ihrem Bekannten über ihren Freund. Der habe sie gefragt, ob sie am Wochenende »zum Drehen« mitkäme. Er würde ihre Hilfe gut gebrauchen können und sich freuen, wenn sie dabeiwäre. Sie aber habe ihm gesagt, nein, sie werde nicht mitkommen. Sie denke ja gar nicht daran, ihm zu helfen, solange er sich nicht an ihrer Hausarbeit beteilige. Immerzu sei sie diejenige, die am Freitag die Wohnung putzen müsse. Kurzum, das gemeinsame Wochenende gebe es nur gegen gemeinsame Hausarbeit. Sie müsse ja schließlich auch arbeiten gehen und Geld verdienen.
Das Traurige an dieser Rede war, daß die Dame schon gar nicht mehr auf die Idee kam, sich zu fragen, ob sie Lust hatte, das Wochenende mit ihrem Freund zu verbringen. Das Geben und Nehmen einer Geschäftsbeziehung hatte sich wie unbemerkt an die Stelle selbstverständlichen Miteinanders gesetzt, schlimmer noch, das Verrechnen jeglicher Liebesdienste drohte die Liebe zu ersticken, nämlich die Freude darüber, daß es den anderen gibt und das auch noch mitten im eigenen Leben. Wer aber einmal zu rechnen angefangen hat, wird schwerlich wieder aufhören können. Die perfekte Verrechnungspraxis ergibt sich aus dem Singledasein, in dem ich vermeintlich niemandem etwas schuldig bin. Möglicherweise ist in diesem Fall auch die Trennung der nächste Schritt, wenn er nicht innerlich schon vollzogen wurde: »Jeder macht sein Ding«, notfalls alleine.
Kurz darauf schlägt ein Arzt öffentlich vor, nur noch solche Patienten in den Genuß eines Spenderorgans kommen zu lassen, die sich ihrerseits zur Organspende bereit erklärt haben. Falls das nicht der Fall wäre, sollten sie sich ganz hinten anstellen. Die Logik dieses Vorschlags ist bestechend, und trotzdem ist daran etwas faul. Aber was? Als Maxime individueller Lebensführung kommt das Prinzip ja durchaus in Betracht. Wenn ich nicht unter zweifelhaften Umständen voreilig für hirntot erklärt und nicht möglichst rasch um meine inneren Organe erleichtert werden möchte (wobei für die Feststellung des Hirntodes bemerkenswerterweise je nach Bundesland andere Regeln gelten), dann sollte ich vielleicht auch darauf verzichten, dasselbe von anderen zu erwarten und es für wichtiger zu halten, daß ich gerettet werde und nicht sie. Kürzlich sprach ich mit einem Freund, einem dreifachen Familienvater, über dieses Problem. Er lehnt Organspende ab und will auch seinerseits kein Spenderorgan beanspruchen. Aber was macht er, wenn eines der Kinder plötzlich ein Spenderorgan braucht? Oder wenn er doch eins braucht, weil die Kinder ihn brauchen? Unsere einzige Idee war, zu hoffen und zu beten, daß es nicht soweit käme.
Anders gefragt, was wäre die Spendebereitschaft eines Patienten wert, dessen Organe aus welchen Gründen auch immer für andere Menschen ungeeignet sind? Soll er dann Ersatzleistungen oder Ersatzbereitschaften vorweisen müssen, um nicht auf dem letzten Platz zu landen? Was ist mit medizinischen Leistungen, die mit einem bestimmten Lebenswandel im Zusammenhang stehen? Müssen Raucher, die an Lungenkrebs leiden, überhaupt noch behandelt werden? Oder Alkoholiker mit Leberzirrhose? Das Verrechnungsschema »Empfangsberechtigung gegen Spendebereitschaft« hat Konsequenzen weit über die Organspende hinaus.
Die Spatzen pfeifen es inzwischen von den Dächern, daß die Hochleistungsmedizin bald eine Exklusivmedizin sein wird und daß auf Dauer – vorsichtig gesagt – nicht mehr alle in den Genuß gigantisch teurer Therapien kommen werden. Also muß selektiert werden, mehr und strenger als je zuvor. »Gerecht« kann hier nur die umfassende und flächendeckende, am besten europaweite bürokratische Regelung sein, nicht aber der ärztliche Entschluß im konkreten Fall. Der Arzt darf nicht mehr seinem Gewissen folgen, und der Patient kann schreien, so viel er will. Der Fortschritt selbst, der unbezahlbar wird, untergräbt das Ethos des Helfens. Die Latte wird immer höher gelegt, bis der pure Fatalismus bleibt, oder die freiwillig beanspruchte Sterbehilfe etwaige Gerechtigkeitslücken schießt. Mit welchen Worten wurde Ministerin Zypries dieser Tage zum Thema Samenspende zitiert? – »Der säkulare Staat kennt kein Schicksal mehr.« Aber dazu ein andermal.