Kategorie-Archiv: Bioethik

»›Homosexualität‹ ist ein groß angelegtes Täuschungsmanöver«

Interview mit dem Publizisten Andreas Lombard

Homosexuelle Reproduktion gibt es nicht – allen Versprechungen und Hoffnungen zum Trotz. Andreas Lombard sagt: Für den reproduktionstechnischen Markt dienen diese bloß als Türöffner. – Das folgende Interview erschien zuerst auf freiewelt.net

Foto: privat

FreieWelt.net: »Homosexualität gibt es nicht«, behaupten Sie im Titel Ihres neuen Buches. Wie ist diese steile These zu verstehen?

FreieWelt.net: Das müssen Sie mir erklären.

Andreas Lombard: Drei Beispiele: Erstens gilt Homosexualität für unveränderbar, als wäre sie ein sicherer Hafen, eine Art Schutz vor den Unwägbarkeiten des Lebens. Den gibt es nicht. Zweitens gibt es die behauptete Gleichheit nicht. »Gleich« ist Homosexualität nur dann, wenn ich die Fortpflanzung wegdenke. Und drittens führt die Gleichstellung zu einer fiktiven homosexuellen Fruchtbarkeit und am Ende zu einer Diskriminierung der Heterosexualität. Es gibt keine homosexuellen Eltern im Vollsinn des Wortes.

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Es gibt kein gutes Töten

Die Sterbehilfe kommt und eskaliert – wie zuvor die Abtreibung

Der Bundestag hat die Beihilfe zum Suizid rechtlich geregelt – ein schwarzer Tag für die Menschenwürde. Es wurde eine Grauzone geschaffen, die Rechtsunsicherheit ist größer als zuvor.

Der 6. November 2015 war ein schwarzer Tag für den Lebensschutz. An diesem Tag hat der Deutsche  Bundestag mit der Neufassung der Paragrafen 217 StGB zwar die geschäftsmäßige Sterbehilfe verboten, die private Sterbehilfe hat er aber zugleich erlaubt. Wenn das Gesetz bestand hat, ist Sterbehilfe in Deutschland unter bestimmten Bedingungen legal. Dank der engagierten Lebensschützer hatte der Bundestag immerhin die Chance, die Sterbehilfe vollständig zu verbieten. Niemand wird sagen können, dass es keine Alternative gegeben habe. Weiterlesen

Herzlich willkommen, die Gleichheit ist schon da!

Warum es nicht wahr ist, dass Homosexuelle keine Kinder bekommen können

Auf die einfachsten Gedanken kommt man immer zuletzt. Wie sich doch Anhänger und Gegner der »Homo-Ehe« gleichermaßen irren können! Einige tapfere Widerspruchsgeister haben jetzt gegen die forcierte Gleichstellung eingewandt, Homosexuelle könnten keine Kinder bekommen. Dieser Unterschied müsse in der Politik des Staates, besonders im Institut der Ehe von Mann und Frau, anerkannt werden. Das Argument ist natürlich nicht falsch. Doch zugleich ist es Wasser auf die Mühlen derer, die inzwischen schon die »Ehe für alle« fordern. Warum?

Der Hinweis auf die »Familiengründungsbehinderung« (Michael Klonovsky) namens Homosexualität ist richtig, aber nur in einer einzigen Hinsicht: Homosexuelle können untereinander keine Kinder zeugen. In diesem Punkt gleichen sie, man höre und staune, aufs Haar allen normal orientierten Männern, die mit ihresgleichen ebenfalls keine Kinder zeugen können. So weit ist die Verwirrung schon vorangeschritten, dass wir diese partiell gleichen Startbedingungen fast vergessen hätten. Mit der Festsellung dieser Gleichheit ist uns der große Unterschied aber bis auf weiteres abhanden gekommen.

Ich erinnere mich an einen schwulen Bekannten, der mir vor ungefähr zehn Jahren davon erzählte, dass er im Begriffe war, Vater zu werden. Er und sein Gefährte waren mit einem lesbischen Paar befreundet, mit dem sie in einer großen Wohngemeinschaft auf dem Land lebten. Eines Tages kamen sie auf die Idee, ein Kind zu zeugen. Gesagt, getan. Sie bereiteten ein schönes Essen, und irgendwann im Laufe des Abends gingen die beiden Männer ins Nebenzimmer, aus dem sie mit einer mehr oder weniger vollen Plastikspritze zurückkehrten, mit der postwendend die beiden Frauen entschwanden. Kurz darauf zeigte sich, dass eine der beiden schwanger war. Sie hatten also den richtigen Tag erwischt. Vielleicht war es schon der zweite Anlauf, das weiß ich nicht mehr so genau. Wenn schon, auch beim großen Rest der Menschheit klappt es nicht immer auf Anhieb.

Ich verzichte an dieser Stelle ausdrücklich darauf, den Vorgang zu bewerten. Angesichts der wachsenden Verwirrung geht es mir um den Hinweis, dass jenes damals gezeugte Kind gute Aussichten hatte, mit beiden leiblichen Elternteilen aufzuwachsen. Das ist nicht wenig. Darüber hinaus sind diverse Komplikationen nicht ganz unwahrscheinlich, denn eine Ehe zu zweit ist bekanntlich schon schwer genug. Und ich vernachlässige hier auch die Tatsache, dass in ähnlichen Fällen oft eine der beiden Seiten der anderen das Kind dauerhaft entzieht (und diese sich das Kind oft auch entziehen lässt), häufiger die lesbische Mutter. Nichtsdestotrotz bringen die halbwegs natürliche Zeugung und die Möglichkeit, dass beide Elternteile bei der Aufzucht des Kindes anwesend sind, aus heutiger Sicht gewisse Vorzüge gegenüber dem jetzt propagierten »Recht auf Kinder« mit sich. Heute geht es darum, die Nachkommen von vornherein künstlich zu zeugen und ihnen wie selbstverständlich ihr Recht auf mindestens eines der leiblichen Elternteile zu nehmen. Weshalb der von Sibylle Lewitscharoff verwendete Begriff »Halbwesen« auch hinsichtlich der eingepreisten und hauptsächlich vom Kind zu tragenden seelischen Kosten absolut treffend gewählt war.

Ich weiß nicht, wie viele Kinder es allein in Berlin gibt, die auf jene Weise gezeugt wurden und in einer solchen Viererkonstellation aufwachsen. Ihre Zahl könnte angesichts der sechsstelligen Zahl homosexueller Berliner ohne weiteres in die Tausende gehen. Ist es da nicht höchst verwunderlich, dass die halbe Welt, praktisch der ganze Westen, ein Problem der Gleichstellung konstruiert, das es überhaupt nicht gibt!? Noch einmal: Das es überhaupt nicht gibt!? Die Anwälte der Homosexuellenrechte sind doch immer die ersten, die darauf verweisen, dass  (auch) bei den »Heterosexuellen« Ehe und Fortpflanzung entkoppelt würden und dass demzufolge auch sie Anspruch auf die Ehe hätten. (In Wahrheit ist das Argument natürlich keins, weil immer noch 75 Prozent aller Kinder zusammen mit Vater und Mutter aufwachsen. Aber sei’s drum.)

Die verblüffendste Tatsache für mich, der ich seit Jahren über diese Fragen nachdenke, ist folgende: In einer Zeit, in der Kinder leider allzu häufig außerhalb der Ehe geboren werden, oft auch von Müttern, die schon vor der Geburt vom Vater getrennt leben, stehen Homosexuelle vor fast denselben Schwierigkeiten der Zeugung wie alle anderen auch: sie müssen halt jemanden finden, der es mit ihnen macht. (Man verzeihe mir den zynischen Unterton.) Ist eine solche Partnersuche etwa zu viel verlangt? Fast jeder großstädtische Schwule dürfte früher oder später mehr als eine Frau kennenlernen, die gern ein Kind von ihm bekommen würde.

Wie gesagt, auf die Bewertung dieses »Modells« werde ich an anderer Stelle eingehen. Auch darauf, dass Vater und Mutter in naturrechtlicher Hinsicht immer verheiratet sind, weshalb es von so großem Vorteil ist, wenn sie sich auch lieben und zusammenbleiben … Mir geht es hier und heute ausschließlich darum, dass es jenen eklatanten Unterschied, auf den besonders gerne auch die Gegner der »Homo-Ehe« verweisen, in einer bestimmten Hinsicht nicht gibt. Vielmehr wird im Namen der Gleichheit ein Unterschied herbeigeredet und kräftig aufgeblasen, dessen Beseitigung nicht auf Gleichheit, sondern auf einzigartige Privilegien hinausläuft: Darauf nämlich, dass eine bestimmte Gruppe von Menschen (warum nicht die Radfahrer?) »ihre« Kinder auf dem Silbertablett serviert bekommt. Alle anderen müssen sich schließlich auch dem mühsamen Versuch unterziehen, wenigstens eine Zeugungs- und Aufzuchtgemeinschaft anzubahnen.

Homosexuelle aller Länder! Ihr habt die große Chance, Eure immer schon realisierte Gleichheit zu unterstreichen, indem Ihr dieselben Mühen auf Euch nehmt wie alle anderen Menschen auch! Herzlich Willkommen.

Ausweitung der Grauzone

Neues zum Thema Sterbehilfe


Auf instinktiver Ebene weiß waches Leben unfreiwillig mehr, als ihm lieb sein kann, von den Verlegenheiten des Daseins
auf der nach vorn geneigten schiefen Ebene. Der Grad des Neigungswinkels unterliegt dem Streit – den nennen die Höflichen »Politik«.

Peter Sloterdijk, Die schrecklichen Kinder der Neuzeit.
Über das anti-genealogische Experiment der Moderne,
Berlin 2014, S. 86

 

Mit einer Deutlichkeit, die auch seitens der Katholischen Kirche in Deutschland nicht eben häufig ist, hat sich Kardinal Woelki Dienstagabend in Bonn gegen Sterbehilfe ausgesprochen: »Seit wann, muss man entschieden fragen, haben Ärzte die Lizenz zum Töten? Es kommt einer Pervertierung des Arztberufes gleich, wenn der, der Leben erhalten soll, es preisgibt. […] Es ist erschreckend, zu sehen, wie sehr die Tabuisierung der Sterbehilfe, die nach den Gräueltaten der Nationalsozialisten jahrzehntelang Konsens war, in den aktuellen Debatten fällt.« In der Tat werden wir uns bald fragen müssen, welche Sorte von Arzt wir vor uns haben. Einen, der uns helfen will, gewiss. Aber auf welche Weise?

Zur selben Zeit, da Woelki in Bonn in einem vollbesetzten Saal sprach, fand in der Katholischen Akademie Berlin die Jahrestagung der Juristenvereinigung Lebensrecht statt. Dort wurden mehrere Positionspapiere der Bundesparlamentarier zur Regelung der Suizidhilfe diskutiert. Wohlgemerkt: Zur Neuregelung geäußert haben sich Abgeordnete des Deutschen Bundestages, darunter auch die ehemalige Ministerin Kristina Schröder, nicht aber die Bundesregierung selbst, die sich seit dem nicht realisierten Gesetzentwurf der Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger (den das Kabinett immerhin einstimmig beschlossen hatte) auffällig bedeckt hält. Der eigentliche Dissens war allerdings nicht auf dem Podium zu erleben, sondern zwischen Podium und Publikum. Die Parlamentarier, die zum Teil überfraktionelle Gruppenentwürfe vorstellten, unterschieden sich in ihren Vorschlägen minimal.

Alle wollen sie, selbstverständlich, die Hospiz-Arbeit und die Palliativmedizin stärken. Das will auch die Bundesregierung – und sei es, um Ängste vor Schlimmerem zu besänftigen. Alle finden sie die Angebote eines Roger Kusch unseriös und verwerflich. Fast niemand aber will die aktuelle Gesetzeslage, nach der die Suizidbeihilfe allein durch das ärztliche Standesrecht behindert wird, verschärfen. Mit einer einzigen, Dienstagabend auf dem Podium leider nicht vertretenen Ausnahme. Vielmehr geht es etwa den Ageordneten Kristina Schröder (CDU/CSU) und Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen) ausdrücklich darum, das ärztliche Standesrecht der Bundesgesetzgebung zu unterwerfen, was leider auch manche Ärzte befürworten, die endlich aus der »Grauzone« gelegentlich praktizierter Suizidbeihilfe herauswollen. Und das, obwohl doch weit und breit kein Arzt wegen einer solchen Tat rechtskräftig verurteilt worden wäre, wie der Heidelberger Jurist Ekkehart Reimer betonte. Auch bislang wurde unter ärztlichem Beistand durchaus würdevoll gestorben und wenn nötig, auch unter professioneller Therapie von Angst, Schmerzen und Atemnot, die alle drei behandelbar sind.

Offiziell wird im Grunde aber nur noch die Frage diskutiert, ob und in welcher Form die organisierte und geschäftsmäßige Sterbehilfe erlaubt werden soll (dagegen sind Kerstin Griese, SPD, u.a.) und welche Sicherungsmaßnahmen ihr mit auf den Wege gegeben werden, wobei aus der Erfahrung der anhaltend hohen Abtreibungszahlen heraus klar sein dürfte, was erschwerende Auflagen dem Lebensschutz langfristig bringen – nämlich nichts. Bündnis 90/Die Grünen wollen die Sterbehilfevereine und die geschäftsmäßige Suizidhilfe aufwerten und auch die Werbung für Sterbehilfe erlauben (in der Schweiz kämpfen die Sterbehilfevereine derzeit recht erfolgreich um Zutritt zu Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen). Die Grünen preschen von allen Abgeordneten am weitesten nach vorn. Sie haben immerhin in diesem einen Punkt recht, den die Abgeordnete Keul gestern vorbrachte: Dass eine verbotene oder verwerfliche Tat nicht dadurch besser würde, dass sie nur Einzelpersonen (Angehörigen, Ärzten und Freunden) erlaubt wäre, nicht aber Vereinen und Organisationen.

Wenn diese Art »Hilfe« überhaupt erlaubt sein soll, dann müssen alle »helfen« dürfen, solange sie nicht von niederen Beweggründen getrieben sind und nicht die Tatherrschaft zu erlangen versuchen, also jemanden zum Suizid überreden wollen. Aber wer kann das kontrollieren? Wer ist schon wikrlich dabei, wenn Sterbewilliger und Suizidhelfer den Tod beschließen? Wir dürfen gespannt sein, wie man Übergriffe und Nötigungen künftig verhindern wird, wenn dieselbe Abgeordnete Keul davon ausgeht, dass es keiner besonderen Dokumentationspflichten bedürfe, da ohnedies jeder Arzt bestrebt sein werde, den Willen des Suizidenten für den Fall etwaiger Vorwürfe und Klagen nachzuweisen. Der Vertrauensvorschuss ist mindestens erstaunlich. Dies wundert einen aber nicht bei einer Partei, die sich nur um die Ökologie der Tiere und der Natur im Allgemeinen kümmert und die des Menschen geradezu rachsüchtig bekämpft.

Der bereits erwähnte Heidelberger Jurist Ekkehart Reimer war es, der in seinem Eingangsreferat eine bemerkenswerte Parallele zu den Jägern und Gejagten der Vorgeschichte zog. Damals wie heute neigten die Menschen dazu, diejenigen, die nicht mehr mitkämen, zurückzulassen, damit das Wohl der übrigen nicht von der Hilfsbedürftigkeit der Schwachen beeinträchtigt werde. Auch solche Parallelen können die Grünen nicht von ihrem Brutalisierungskurs abbringen. Hartnäckig widersprach die Abgeordnete Keul mehrfachen Hinweisen aus dem Publikum, dass die schiefe Ebene zwangsläufig zu einer dramatischen Zunahme der Sterbehilfefälle führen werde. Dafür gebe es keinerlei Beleg, behauptete sie, obwohl doch bekannt ist, dass etwa die Schweizer Sterbehilfeorganisation Exit im Jahre 2013 einen dramatischen Zuwachs von 8000 Mitgliedern zu verzeichnen hatte. 2014 schieden bei Exit mit 583 Suizidenten bereits 25 Prozent mehr Menschen aus dem Leben als im Vorjahr. Allein in den ersten beiden Monaten des Jahres 2015 wurden 5000 neue Mitglieder aufgenommen, und damit dürfte sich der Zuwachs von 2013 schon in diesem Jahr vervielfachen. In zehn oder zwanzig Jahren dürften die Fälle assistierten Suizids also in die Zehntausende gehen.

Patrick Sensburg (CDU/CSU) ist einer derjenigen Abgeordneten, die sich für den vollen Lebensschutz einsetzen und eine Strafbarkeit der Suizidbeihilfe fordern wollen, und zwar mit bis zu fünf Jahren Gefängnis. Sensburg saß am Dienstag nicht mit auf dem Podium. Warum eigentlich nicht? Wie kommt es, dass in der Veranstaltung einer Lebensrechts-Organisation im Hause der Katholischen Akademie niemand eine katholische Position vertritt, dass auch nicht einziges Mal das fünfte Gebot vorgebracht wird? Dabei wäre doch der Einbezug gerade dieser Position die einzige Möglichkeit, die Rede von einer ergebnisoffenen Debatte zu rechtfertigen. Aber offenbar soll eine solche gar nicht stattfinden, allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz. Je größer der Veranstaltungsreigen zu diesem Thema wird, desto belangloser und nichtssagender wird er auch, und desto mehr stellt sich das Gefühl ein, die entscheidende Schlacht fände überhaupt nicht statt oder sei längst entschieden. Seit wann sind sich Politik, große Medien und Wirtschaft einig, dass der »demografische Wandel« das »sozialverträgliche Frühableben« benötige, wie der damalige Ärztekammerpräsident Karsten Vilmar das schon 1998 nannte?

Wie gesagt, der Widerspruch kam Dienstagabend allein aus dem Publikum, von dort aber unisono. Das führte immerhin zu einem merklichen Unwohlsein auf dem Podium. Aber nicht einmal Katharina Jestaedt vom Kommissariat der deutschen Bischöfe konnte sich in ihrer Antwort auf die Wortmeldungen dazu durchringen, die christlicherseits einzig naheliegende Position zu vertreten. Warum musste ausgerechnet sie, die sie ja nicht den Gesetzgeber vertrat, darauf hinweisen, dass das, was dieser beschließt, auch für Nichtchristen (die noch dazu bislang in der Minderheit sind) »valide« sein müsse? Was treibt die deutschen Bischöfe? Was hindert sie, bei einer solchen Gelegenheit deutliche Worte zu finden?

Zu den interessanteren Hinweisen des Abends gehörte erstens die Erwähnung von empirischen Studien durch den Diskussionsleiter Daniel Deckers (FAZ), nach denen sterbewillige Patienten dem assistierten Suizid die Tötung auf Verlangen vorzögen. Es klingt plausibel, dass sie lieber gleich alles dem Arzt oder Helfer überlassen. Wir bekommen also bald eine weitere Diskussion um Tötung auf Verlangen, sobald der assistierte Suizid alltäglich geworden ist. Die Abgeordnete Keul sagt aber, die schiefe Ebene lasse sich nicht beweisen. Zweitens: Pro Jahr gibt es in der Bundesrepublik rd. 100.000 Suizidversuche und 10.000 gelingende Suizide. Das ergibt einen potentiellen Kundenstamm, der weit über den Mitgliederzahlen von Exit und Dignitas liegt. Sollen jene 90.000 Menschen, die ihren Suizidversuch bislang überleben (bei weitem nicht alle starten einen zweiten Versuch) ihn künftig nicht mehr überleben? Wer will dazu beitragen, dass sie ihn nicht mehr überleben? Ihre Hausärzte, die sich bislang um die Nachversorgung, etwa um die Heilung der Schnittwunden gekümmert haben?

Den Werther-Effekt haben wir da noch gar nicht berücksichtigt … Die Abgeordnete Keul sagt aber, die schiefe Ebene lasse sich nicht beweisen. Drittens: Der Schweizer Außenminister habe jüngst beklagt, hieß es, dass die meisten Fälle von Sterbehilfe auf ältere, alleinstehende Frauen aus Großstädten entfallen (drei Fünftel der Mitglieder von Exit sind Frauen). Allmählich fürchtet die Schweiz angesichts der vielen Suizidtouristen offenbar um ihre Reputation. Wenn das Durchschnittsalter der Suizidenten heute bei 77,5 Jahren liegt, dann können wir uns jedenfalls ausrechnen, was uns beim Altwerden der geburtenstarken Jahrgänge mit ihrem hohen Singleanteil erwartet, also in zwanzig bis dreißig Jahren. Die Abgeordnete Keul sagt aber, die schiefe Ebene lasse sich nicht beweisen. Wahrscheinlich würde sie das auch für die 100.000 Abtreibungen pro Jahr behaupten, deren Zahl nur noch relativ zur sinkenden Bevölkerungszahl steigt.

Natürlich kann die Bundesrepublik mit einer gesetzlichen Regelung der Suizidbeihilfe dafür sorgen, dass die Leute nicht mehr in die Schweiz fahren müssen (geht es darum, sich die Anteile an einem künftig stark wachsenden Markt zu sichern?). Das Ergebnis wird aber sein, dass die Sterbewilligen dann aus den Ländern, in denen der assistierte Suizid bislang verboten ist, nach Deutschland kommen werden, nämlich aus Österreich, Polen, Italien, England, Wales, Portugal und Spanien. Will das der Deutsche Bundestag? Will das die Bundesregierung? Dazu ein Zitat aus der Begründung des von Patrick Sensburg vertretenen Gesetzentwurfs:

»Die Angehörigen und Freunde werden sicher nicht selbst in der Apotheke das Gift kaufen, sondern den Arzt auffordern, dem Suizidenten zu ›helfen‹. Dies umso mehr, wenn das bisher in der Regel zur Selbsttötung verwendete Gift Natriumpentobarbital zur Verwendung am Menschen freigegeben würde. Natriumpentobarbital darf nach § 13 BtMG lediglich in der Veterinärmedizin zum Einschläfern von Tieren verordnet werden. Wenn man die ärztliche Beihilfe zum Suizid erlauben würde, würde man auch im Betäubungsmittelrecht insofern Änderungen vornehmen müssen. Damit würde man im wörtlichen Sinn den Giftschrank öffnen, und das im bevölkerungsreichsten Land Europas, das zugleich über die höchste Zahl an Ärzten verfügt. Der oft beklagte ›Sterbehilfe-Tourismus‹ würde dann Deutschland als Ziel wählen.«

Wenn die vielbeschworene »Autonomie«, auf die sich die Befürworter der Sterbehilfe stützen, das letzte Ziel und das oberste Gebot ist, warum wollen sie dann nicht auch die Tötung auf Verlangen erlauben, zumal es Fälle gibt, in denen der Suizident nicht einmal einen Becher halten kann? Warum dann den Suizid auf tödlich Erkrankte begrenzen? »Trotz der bleibenden Einsprüche der Kirchen [die ziemlich schwach ausfallen, A.L.] wollen viele Menschen selbst entscheiden, wie sie ihr Leben beenden, also auch ohne tödliche Krankheit einen Suizid verüben können, ohne dabei auf ärztliche Begleitung verzichten zu müssen.« (Heike Schmoll, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.4.2015)

Tatsächlich, so stellt die Begründung des einzigen Gesetzentwurfs mit Rücksicht auf den Lebensschutz klar, wird der heute schon erkennbare Versuch, die gegenwärtige Grauzone zu beseitigen, zu ihrer unabsehbaren Ausweitung führen. Die Tötung auf Verlangen ist verboten, weil die Behauptung, »auf Verlangen« des Toten gehandelt zu haben, ohne dessen Zeugenschaft so überaus schwer nachzuweisen ist. Bei der Berufung darauf, nur Beihilfe geleistet zu haben, sieht es aber nicht besser aus: »Diese Aussage ist gerichtlicherseits kaum überprüfbar. Würde man dem Täter zugestehen, dass er sich darauf zurückziehen kann, nur ›geholfen‹ zu haben, würde man einen tatsächlich rechtlich nicht mehr überprüfbaren Raum schaffen.«

Tatsächlich muss alle Tötungsenergie, die der Suizident nicht selbst aufbringen kann oder will, vom Helfer kommen. Je mehr der Helfer hilft, desto mehr wird er zum Täter, desto mehr muss er sich den Todeswunsch des anderen, der nicht sein eigener ist, zu eigen machen. Er muss selber wollen, dass der andere stirbt. Wie kann er das wollen und warum? Wie ist es möglich, die lauteren Motive jemals von den unlauteren zu scheiden? Niemand kann bei genauem Nachdenken »helfen«, ohne aktiv zu töten. Der leichte, schmerzlose Selbstmord, der Selbstmord für alle, wird logischerweise von der Ausnahme zu Regel, wenn das Tötungsverbot fällt. Er wird zu einem dauerhaften Alternativangebot, zu einer makabren Zusatzleistung, sobald die Hemmschwellen für die Helfer abgebaut wurden.

Die Dienstagabend wiederholt betonte Straffreiheit für den Helfer gibt es im deutschen Strafrecht leider wirklich. Dabei handelt es sich um eine schlichte Gesetzeslücke, die die europäischen Nachbartstaaten nicht kennen. Bei der Frage nach der Freiheit von Schuld sieht es im Hinblick auf den »Helfer« und seine Helfershelfer aber schon ganz anders aus. Beim Suizid wird der Weg vom Dürfen über das Sollen (wir werden es wollen sollen) zum Müssen führen. Rette sich wer kann, vor allem vor dem Helfenwollen.

Zur Verrechnung

Was Beziehungsprobleme mit Organspende zu tun haben

Die Dame hinter der Theke des Berliner Cafés sprach zu ihrem Bekannten über ihren Freund. Der habe sie gefragt, ob sie am Wochenende »zum Drehen« mitkäme. Er würde ihre Hilfe gut gebrauchen können und sich freuen, wenn sie dabeiwäre. Sie aber habe ihm gesagt, nein, sie werde nicht mitkommen. Sie denke ja gar nicht daran, ihm zu helfen, solange er sich nicht an ihrer Hausarbeit beteilige. Immerzu sei sie diejenige, die am Freitag die Wohnung putzen müsse. Kurzum, das gemeinsame Wochenende gebe es nur gegen gemeinsame Hausarbeit. Sie müsse ja schließlich auch arbeiten gehen und Geld verdienen.

Das Traurige an dieser Rede war, daß die Dame schon gar nicht mehr auf die Idee kam, sich zu fragen, ob sie Lust hatte, das Wochenende mit ihrem Freund zu verbringen. Das Geben und Nehmen einer Geschäftsbeziehung hatte sich wie unbemerkt an die Stelle  selbstverständlichen Miteinanders gesetzt, schlimmer noch, das Verrechnen jeglicher Liebesdienste drohte die Liebe zu ersticken, nämlich die Freude darüber, daß es den anderen gibt und das auch noch mitten im eigenen Leben. Wer aber einmal zu rechnen angefangen hat, wird schwerlich wieder aufhören können. Die perfekte Verrechnungspraxis ergibt sich aus dem Singledasein, in dem ich vermeintlich niemandem etwas schuldig bin. Möglicherweise ist in diesem Fall auch die Trennung der nächste Schritt, wenn er nicht innerlich schon vollzogen wurde: »Jeder macht sein Ding«, notfalls alleine.

Kurz darauf schlägt ein Arzt öffentlich vor, nur noch solche Patienten in den Genuß eines Spenderorgans kommen zu lassen, die sich ihrerseits zur Organspende bereit erklärt haben. Falls das nicht der Fall wäre, sollten sie sich ganz hinten anstellen. Die Logik dieses Vorschlags ist bestechend, und trotzdem ist daran etwas faul. Aber was? Als Maxime individueller Lebensführung kommt das Prinzip ja durchaus in Betracht. Wenn ich nicht unter zweifelhaften Umständen voreilig für hirntot erklärt und nicht möglichst rasch um meine inneren Organe erleichtert werden möchte (wobei  für die Feststellung des Hirntodes bemerkenswerterweise je nach Bundesland andere Regeln gelten), dann sollte ich vielleicht auch darauf verzichten, dasselbe von anderen zu erwarten und es für wichtiger zu halten, daß ich gerettet werde und nicht sie. Kürzlich sprach ich mit einem Freund, einem dreifachen Familienvater, über dieses Problem. Er lehnt Organspende ab und will auch seinerseits kein Spenderorgan beanspruchen. Aber was macht er, wenn eines der Kinder plötzlich ein Spenderorgan braucht? Oder wenn er doch eins braucht, weil die Kinder ihn brauchen? Unsere einzige Idee war, zu hoffen und zu beten, daß es nicht soweit käme.

Anders gefragt, was wäre die Spendebereitschaft eines Patienten wert, dessen Organe aus welchen Gründen auch immer für andere Menschen ungeeignet sind? Soll er dann Ersatzleistungen oder Ersatzbereitschaften vorweisen müssen, um nicht auf dem letzten Platz zu landen? Was ist mit medizinischen Leistungen, die mit einem  bestimmten Lebenswandel im Zusammenhang stehen? Müssen Raucher, die an Lungenkrebs leiden, überhaupt noch behandelt werden? Oder Alkoholiker mit Leberzirrhose? Das Verrechnungsschema »Empfangsberechtigung gegen Spendebereitschaft« hat  Konsequenzen weit über die Organspende hinaus.

Die Spatzen pfeifen es inzwischen von den Dächern, daß die Hochleistungsmedizin bald eine Exklusivmedizin sein wird und daß auf Dauer – vorsichtig gesagt – nicht mehr alle in den Genuß gigantisch teurer Therapien kommen werden. Also muß selektiert werden, mehr und strenger als je zuvor. »Gerecht« kann hier nur die umfassende und flächendeckende, am besten europaweite bürokratische Regelung sein, nicht aber der ärztliche Entschluß im konkreten Fall. Der Arzt darf nicht mehr seinem Gewissen folgen, und der Patient kann schreien, so viel er will. Der Fortschritt selbst, der unbezahlbar wird, untergräbt das Ethos des Helfens. Die Latte wird immer höher gelegt, bis der pure Fatalismus bleibt, oder die freiwillig beanspruchte Sterbehilfe etwaige Gerechtigkeitslücken schießt. Mit welchen Worten wurde Ministerin Zypries dieser Tage zum Thema Samenspende zitiert? – »Der säkulare Staat kennt kein Schicksal mehr.« Aber dazu ein andermal.

Zum Thema gleichgeschlechtliche »Eltern«: Bei Kindern hört der Spaß auf

Heute auf Deutschlandradio Kultur: Die Realisierung des Kinderwunsches um jeden Preis ist ein Verbrechen am Kind

Am 30. Juli hat Deutschlandradio Kultur mein Politisches Feuilleton zum »Recht auf Kinder« für gleichgeschlechtliche Paare gesendet. Meine Hauptthese: Ein Recht auf Kinder gibt es für niemanden, denn Kinder sind eine Frucht der Liebe, sie sind ein Geschenk und deshalb kein beliebig produzierbares oder zuteilungsfähiges Gut. Wer gar durch künstliche Befruchtung Gleichheit »herstellen« will, belastet die so entstehenden Kinder mit vorhersehbaren seelischen Schäden.

Immer öfter wird behauptet, dieses oder jenes gleichgeschlechtliche Paar habe »ein Kind bekommen«. Das ist natürlich glatt gelogen. Ein Kind hat einer der beiden Partner zusammen mit einem ausgeschlossenen Dritten bekommen, nach dem in den Medien nicht gefragt wird, und zwar nicht einmal dann, wenn die Mutter der ausgeschlossene Dritte ist. Nicht alle gleichgeschlechtlichen Eltern enthalten dem Kind das zweite Elternteil vor, fast immer aber tun es die Medien, die das Problem durch Schweigen rücksichtslos weglügen. In meinem Beitrag heißt es:

»Das Kind gleichgeschlechtlicher ›Eltern‹ muss ein Elternteil entbehren. Auf dessen Platz wird ihm eine Person präsentiert, mit der es nichts zu tun hat. Ähnliches kennen wir von Kuckuckskindern, Scheidungskindern und Halbwaisen. Dort gilt es aber als trauriges Schicksal. Von nun an werden diese traurigen Kinderschicksale zwecks Gleichstellung von sexuellen Präferenzen vorsätzlich herbeigeführt − ein grausames Novum in der Geschichte der Menschheit.«

Zu meinem Beitrag geht es hier. – Wer tiefer in das Thema einsteigen will, dem empfehle ich meinen kürzlich erschienenen Artikel »Herr Sibelius ist Mutter geworden« in Die Neue Ordnung, 67. Jg., Heft 3 (Juni) 2013, S. 195−206.

Schluss mit Vater und Mutter

Von Monette VACQUIN und Jean-Pierre WINTER

Homo-Ehe und Adoptionsrecht für Homosexuelle sind das Symptom einer tiefen Krise. Der totalitäre Angriff auf das Leben, auf unsere Werte und Institutionen geht über die Forderungen weit hinaus. Die Flucht nach vorn findet kein Ende. D.E.d.E. dokumentiert eine weitere Stimme der vielfältigen französischen Debatte.

Vorbemerkung von Andreas Lombard

In diesen Tagen meint die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« im französischen Widerstand gegen die Homo-Ehe eine »neue Allianz« zu erkennen, in der sich »alte Reaktion und neuer rechter Nihilismus« zur »Ablehnung der Moderne und der Rationalität« vereinten. Nils Minkmar,  Leiter des Feuilletons, bezeichnet es als einen »Grund zur Sorge«, dass sich das »ländlich-katholische Frankreich der Handwerker, kleinen Selbstständigen und Notablen mit seiner gemütlichen, aber tendenziell intoleranten bis bornierten [!] Weltanschauung« der Homo-Ehe verschließt. Im Rahmen einer Großdemonstration mit hunderttausenden Teilnehmern genügen ihm ein paar hundert randalierender Jugendlicher und 36 Leichtverletzte, um »Auswüchse von Gewalt« zu beklagen. Es gehe doch nur um »bekennende Homosexuelle« und um »eine gesetzliche Regelung der Krankenversicherung«, die aus Sicht ihrer Gegner »in den Stalinismus« führe. Minkmar erklärt den »Angriff auf die Ausweitung des Rechts, die Ehe zu schließen«, schlicht für »unlogisch«.

In seinem Beitrag zu den französischen Ereignissen wird einfach nur die neueste ideologische Trommel gerührt: »Wo das angelsächsische System die checks and balances kennt, in Deutschland die Kunst des politischen Kompromisses hoch gehalten wird, ist in Frankreich der Ort der politischen Konsensfindung die Straße. Die Seite, die nicht regiert, legt beim ersten passenden Anlass das Land so lange lahm, bis die Zentrale nachgibt.« Die böse Tante Ideologie wohnt natürlich auf der Seite der angeblichen neuen radikalen Rechten – und nicht etwa bei der aggressiven Gleichstellungspolitik. Man könnte meinen, schon würde ganz Frankreich im Chaos versinken, es wäre der Präsident im Laufe seines Fluchtversuchs verhaftet worden und die Hauptstadt radikalen Katholiken in die Hände gefallen, die nun damit begonnen hätten, die Hälse homosexueller Bürger unter die Guillotine zu schieben. Wo war Herr Minkmar am vergangenen Sonntag? Auf einer Zeitreise?

Dass Homosexualität vorkommt, dass es sie gibt, begründet kein Werturteil, übrigens auch kein negatives. Die Sache ist ganz einfach. In der Geschichte wurde Homosexualität immer dann gefördert, wenn es kein politisch-gesellschaftliches Interesse an Nachwuchs gab bzw. ein ausdrückliches Interesse an möglichst wenig Nachwuchs (vgl. Hans Kelsen, »Die platonische Liebe«, in: Aufsätze zur Idelogiekritik, Neuwied und Berlin [Luchterhand], 1964, S. 117–197).

In Frankreich – und nicht nur dort – sind übrigens viele Homosexuelle gegen das neue Gesetz und lehnen die »Anerkennung« oder Gleichstellung von Homosexualität mit Bedacht ab. Auch Homosexuelle sind mitunter in der Lage, die gerade von ihnen vielleicht schmerzlich vermisste Weitergabe des Lebens höher zu bewerten als Homosexuellenrechte. Auch sie sind in der Lage, jenem generativen Zusammenhang die Ehre zu geben, dem sie ihr eigenes Dasein verdanken.

Nicht einmal die Annahme einer allgemeinen bisexuellen Veranlagung des Menschen spräche dagegen. Es gibt im Leben nicht nur den Zwang, sondern auch die freie Entscheidung, sich hier und da gegen sich selbst zu stellen. Denn nicht alles, was uns unsere Wünsche, Impulse und Bedürfnisse einreden, ist auch gut für uns. Wenn es anders wäre, wäre das Leben so einfach wie das der Tiere, die sich fast immer auf ihre Instinkte verlassen können. Wir Menschen können das nicht, und deshalb haben wir Kultur, die von Grenzen, Unterschieden und Werturteilen lebt.

Aber nun darf in der Verachtung französisch-reaktionärer Zustände sogar der nationale Gegensatz wieder auferstehen: Frankreich als das Land des Straßenpöbels, Deutschland als der Hort gesitteter Streitkultur. Das stimmt nur leider nicht, wie der nachfolgende Artikel aus der keineswegs rechten, sondern liberalen Zeitschrift Le Débat illustriert, die bestimmt auch Herr Minkmar kennt. Eher verhält es sich umgekehrt: In Deutschland wird jedes Gegenargument von vornherein unterdrückt, der gutmenschliche Totalitarismus dominiert die Szene, in Frankreich aber wird noch lebendige Streitkultur pflegt.

Die Autoren Monette Vacquin und Jean-Pierre Winter arbeiten als Psychoanalytiker. Sie haben zu Fragen von Genetik und Fortpflanzung sowie zur gleichgeschlechtlichen Elternschaft publiziert. Ihre hier in leicht gekürzter Form übersetzten Überlegungen anlässlich der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Frankreich erschienen dort unter dem Originaltitel »Pour en finir avec père et mère« in: Le Débat 174, März/April 2013, S. 84–89. – Wir danken den Autoren für die freundlich erteilte Genehmigung, hier die deutsche Fassung ihres Aufsatzes zu veröffentlichen.

 

Schluss mit Vater und Mutter

Vater und Mutter sind noch ein letztes Mal davongekommen. Nur knapp sind sie vor kurzem bei der Verabschiedung des Gesetzes zur »Homo-Ehe« ihrer völligen Streichung aus den Gesetzbüchern entgangen. Auch in anderen westlichen Ländern fallen die beiden zunehmend unangenehm auf. Verdichten sich in ihnen doch alle Unterscheidungen, geschlechtliche ebenso wie generationelle. Damit stehen sie in der akuten Gefahr, aus den rechtlichen Kodifikationen unseres Lebens ausradiert zu werden. Welch ein zivilisatorischer Fortschritt! Jahrtausende verbrachte man damit, sich mit den zwei Störenfrieden auseinanderzusetzen. Offenbar rufen Vater und Mutter beim Menschen seit jeher eine unausweichliche Ambivalenz hervor. Selbst die großen religiösen Texte geboten ja, die beiden zu ehren, nicht zu lieben. Die Zeitenwende, die 1968 mit dem »Verbot zu verbieten« eingeläutet wurde, brauchte indes weniger als ein halbes Jahrhundert, um die beiden Repräsentanten des »Zwangs« zu neutralisieren.

Nun geht es darum, die Verderber ungehemmten Amüsements gänzlich zu vernichten. Mit dem ideologischen Kehrbesen werden jahrhundertealte Gewohnheiten hinweggefegt und die Begriffe beseitigt, die diejenigen bezeichnen, denen wir die Weitergabe des Lebens verdanken. Es ist anzunehmen, dass die verbreitete Zustimmung hierzu ihren Grund in archaischen Ambivalenzen hat, die die Realisierung eines solchen Vorhabens überhaupt erst ermöglichen. Dieses vielsagende Symptom bedarf unserer näheren Betrachtung.

Der Versuch der Beseitigung von Mutter und Vater besitzt ein explosives Potential. Dieses rührt nicht nur von den Bemühungen einer Minderheit der Homosexuellen, die das Recht auf Eheschließung fordern und die damit selbst nur Symptome einer tieferreichenden Krise sind. Es zeigt sich vielmehr im kollektiven Echo auf das inhärente Angebot, die Weitergabe von Leben, Institutionen und Werten zu verweigern. Andernfalls wäre die Forderung allenfalls belächelt oder übergangen, nicht aber mit dieser erstaunlich breiten Zustimmung und Zufriedenheit aufgenommen worden.

Der Vorgang wird freilich von einer winzigen Minderheit gesteuert. Sie bedient sich einer politisch-korrekten Sprache, deren Gebrauch mit dem Ende des Denkens gleichzusetzen ist. Weder für Huxley noch für Orwell wäre eine derartige Attacke vorstellbar gewesen. Selbst wenn Orwell schreibt, »durch immer weniger Worte wirkt die Sprache wie bis auf die Knochen abgenagt«, so dachte er doch nicht an eine Beseitigung der Worte »Vater« und »Mutter«. Zwar war ihm klar, dass jede Perversion eine Manipulation der Sprache mit sich bringt und dass jeder Totalitarismus von einer totalen Verneinung begleitet sein müsse, die in der Sprache selbst wuchert. »Die Lüge ist die Wahrheit«, »Der Krieg ist der Frieden«, diese Slogans aus 1984 gehörten zur bewusst herbeigeführten Erosion der Sprache, die diese für die menschlich-zwischenmenschliche Verständigung unbrauchbar machen sollte. Doch niemals ging es in Orwells Werk bis zur äußersten Verneinung, der Leugnung geschlechtlicher Unterschiede. Allerdings kam er der Sache nahe: Seine »Anti-Sex-Liga« kämpft nicht für die sexuelle Freiheit sondern für die Abschaffung der Geschlechtlichkeit – jegliche Differenzen sind totalitärem Denken missliebig.

Auch Huxley ist nicht in den Sinn gekommen, was heute bei uns geschieht. Zwar zeigte er auf, dass das Wort »Eltern« lächerlich gemacht werden würde, weil es aus einer überholten Epoche der »Fortpflanzung durch Lebendgeburten« stamme. Aber seine Vorstellung reichte nicht soweit, dass »Eltern« zu einem »neutralen« Begriff werden könnte, der etwas anderes als einen Mann und eine Frau bezeichnet.

Freud bezeichnete die Verleugnung der Differenz – »ein Mann ist eine Frau« – als eine Verdrängung der »Kastrationsangst«. Dem entspricht in der Psychoanalyse die Weigerung, Unvollständigkeit und Komplementarität zu akzeptieren. Diese Verdrängung erfordert freilich ein kategorisches Bestreiten der Wirklichkeit. Dies geschieht durch weit auswuchernde Allmachtphantasien, gegen die keinerlei äußere Tatbestände mehr ins Feld geführt werden können. Schließlich entsteht hieraus in der psychischen Disposition ein unablässiges, sich abkapselndes Selbstgespräch. Der Irrsinn tritt letztlich als Hass nach außen.

Die öffentlichen Beschwichtigungsreden bemühen sich, das Gewaltpotential einer solchen sprachlichen und mentalen Bereinigung unter die Wahrnehmungsgrenze zu drücken. Bereits seit etwa zehn Jahren fordern Splittergruppen, den Begriff der Elternschaft zu »neutralisieren«. Neutralisieren, das bedeutet, die Geschlechtlichkeit des Männlichen und des Weiblichen zu beseitigen, bedeutet, Geschlechtlichkeit unschädlich zu machen. Die Intention heißt Vatermord. Vater und Mutter müssen sterben, im Namen der neu erfundenen, neutralen »Elternliebe«.

Jenseits der Vorstellungen Orwells liegt auch unsere politisch korrekte Sprache in ihrer »soften«, alltäglichen Variante. Ihr Bezugspunkt sind leicht gekränkte und beleidigte Minderheiten von Minderheiten. Zugegeben, wenn Schwarze zu »Farbigen« oder Blinde zu »Sehbehinderten« werden, ist der Schaden noch gering. Wenn Entlassungen »Sozialpläne« heißen, beginnt man, sich unwohl zu fühlen. Wenn ein »Mohr im Hemd« künftig als »Schokoladenkuchen mit Schlag« bezeichnet werden soll, fragt man sich, ob man träumt. Und wenn die »Ehe«, wie sie bisher verstanden wurde, als »legale Diskriminierung von Bürgern mit nicht-heterosexueller Orientierung« diffamiert wird, macht sich Angst breit. Genau dies geschieht derzeit.

»Politisch korrekt« bedeutet, dass die Sprache aalglatt sein soll, ohne Widerhaken, ohne Schärfe. Es handelt sich um ideologische Glättungsversuche, die bis ins Detail überwacht werden. Sie kaschieren einen geistigen Terrorismus, der direkt in eine Art Ethik der Konfusion führt. Der Kampf für das auf diese Weise neutralisierte »Gute« hinterlässt Schlachtfelder des Hasses und der Unmenschlichkeit. Die Verstümmelung der Sprache wird hinter pathetischen Bekundungen einer Gesellschaft verborgen, die nichts mehr zu empfangen und nichts mehr weiterzugeben weiß, die weder zu denken, noch zu hierarchisieren noch einzuordnen vermag. Am Ende steht eine Gesellschaft, die nur noch Traditionen brechen und Forderungen aufstellen kann – und die das mit einem erschreckenden Aufwand an pseudo-wissenschaftlicher Untermauerung zelebriert. Die Weisheit bricht unter den Schlägen eines solchen »Expertentums« zusammen. Sie wird von der Forderung überrannt, alle menschlichen Bindungen zu verwissenschaftlichen. Die Vernunft flieht vor einer sich als Scharfrichter gebärdenden Rationalität, die Herkommen und Tradierung nicht mehr kennt. Das verursacht allgemeine Paranoia, und die ist bereits weit fortgeschritten.

Die Forderung nach der »Homo-Ehe« hat ganz offensichtlicher Weise weder eine sachliche Berechtigung, noch zielt sie auf eine zu beseitigende Ungerechtigkeit. Sie ist ein zu entzifferndes Symptom. Denn was bedeutet die Gleichzeitigkeit der Forderung nach Anerkennung einer Differenz und dem gewaltsamen Bestreben ihrer Aufhebung? Was bedeutet die Forderung nach »symbolischem Gehalt« der Gesetzgebung, während zugleich aller Inhalt nivelliert wird? Was bedeutet die Besessenheit, mit der der Bruch mit allem Überkommenen gesucht wird? Was bedeuten schließlich die bemerkenswerten Veränderungen in den Forderungen aus dem homosexuellen Milieu – gestern nach dem Recht auf eine »andere« Sexualität, heute nach den Attributen der »alten« Sexualität: Familie und Kindern? Wozu diese Parodie der alten Ehe, die ansonsten langsam aus der Mode zu kommen schien? Um ihr den Gnadenstoß zu geben? Oder weil ihr Platz nicht leer bleiben darf? Und dies alles vor dem Hintergrund des erstaunlichen Desinteresses der Homosexuellen an der noch vor kurzem so vehement geforderten eingetragenen Partnerschaft (»Pacs«). In allen Bereichen fordern Gleichstellungsfanatiker heute die Parität von Männern und Frauen. Der Geschlechtsunterschied wird so massiv politisiert wie nie zuvor in der europäischen Geschichte. Und ausgerechnet bei der Ehe und bei Eltern soll er keine Rolle mehr spielen?

Angesichts großer – und realer – nationaler und globaler Probleme sollte es eigentlich erstaunen, dass sich das politische und mediale Interesse in einem solchen Ausmaß von der Frage der »Homo-Ehe« absorbieren lässt. Aber auch Präsidenten, Politiker und Medienleute können offensichtlich beherrscht werden von der Ambivalenz gegenüber allem Herkommen, gegenüber allem, was sich »wissenschaftlichen« Beweisen entzieht, gegenüber allem, was noch eine »Grenze« des Humanen aufzeigt. Allerdings ist zu bedenken: Die kindliche Ambivalenz gegenüber »Papa/Mama« wiederholt sich in der Achtung des Bürgers vor den öffentlichen Institutionen, vor der staatlichen Gewalt. Auf einmal wird deutlich, dass uns das Ende von Vater und Mutter auf noch schlimmere Abwege führen könnte …

Die Identifikation der Politiker mit diesen Zielen ist als solche rätselhaft. Im Kern soll eine jahrhundertelang fraglos hingenommene Gewohnheit beseitigt werden, die im hergebrachten Begriff der Ehe immer die Vereinigung von Mann und Frau sah. Noch nie wurde daran gezweifelt – bei aller Vielfalt der Ehe in den verschiedenen Kulturen! Andererseits erfordert dieser Umbau die unhinterfragte Unterwerfung unter eine Minderheit von Aktivisten, die keinesfalls von allen Homosexuellen unterstützt wird, die aber die Deutungshoheit mittels einer Sprache des ideologischen Egalitarismus und der Entdifferenzierung errungen hat und so in wirksamer Weise mit dem Vorwurf der »Homophobie« den Verzicht auf das Denken erpressen kann.

Auch scheint unsere Gesellschaft, der ihre Grundlagen und festen Bezugspunkte vollends abhanden gekommen sind, die überkommenen und ihr unverständlich gewordenen Institutionen insgesamt behandeln zu wollen wie ein Kind, das ein Spielzeug zerbricht, um seine Funktionsweise zu verstehen. Zerstören kann eine barbarische Art des Fragens sein. Und in der Tat ist uns in der westlichen Welt im Bereich der Sexualität und der Weitergabe des Lebens in rasch aufeinanderfolgenden Etappen alles radikal fraglich geworden: In den 1970er Jahren: Wie funktioniert Sexualität ohne Zeugung von Kindern? In den 1980er Jahren: Wie erzeugt man Kinder ohne Sexualität? Und heute: Wie bekommt man Kinder ohne Geschlechtsdifferenz der Eltern?

Zwei Männer oder zwei Frauen als »Mann und Frau« im Sinne der Ehe zu behandeln, bedeutet schließlich auch, die fundamentale Verknüpfung von Worten an Körper aufzulösen, die Bedeutungen von den Dingen zu trennen, auf dass sie wie freie Elektronen durch virtuelle Welten fliegen. Im Namen einer anti-ontologischen Gleichheit sollen alle zur kollektiven Regression verpflichtet werden, zu einem Dasein als Neutra. Dabei ist die menschliche Welt alles andere als neutral – sie ist nichts anderes als die Welt der in ihr vorhandenen Dinge. Der unheilvolle Neutralitätsgedanke geht mit einer verfälschenden Vorstellung von Objektivität einher.

Bei all dem wäre daran zu erinnern, dass es nicht die Aufgabe des Staates sein kann, auf Provokationen ideologischer Aktivisten einzugehen, die eine konfuse Sprache sprechen und auf jeglichen Widerspruch mit dem Terror ihrer »korrekten« Sophismen reagieren. Noch weniger ist es Aufgabe des Staates, dergleichen Provokationen institutionelle Formen zu geben. Wenn so etwas geschieht, dann wird die Verdrängung zum bürgerlichen Gesetz – und dies mit unabsehbaren psychischen Folgen für alle. Homophobie zu bekämpfen ist eine Sache. Rechtsformen für die Partnerschaften zwischen Homosexuellen, die dies wünschen, zu institutionalisieren eine weitere.

Funktionierende Institutionen aber auszuhöhlen und zu entwerten, ist etwas völlig anderes. Genau das ist das Problem der »Homo-Ehe«: Ein legitimes Anliegen verbindet sich mit einer antizivilisatorischen Attacke auf unsere Institutionen. Das wird zwangsläufig archaische Kräfte wecken. Die Gegner eines solchen Unternehmens sind keinesfalls homophob, sie sind weder Moralapostel noch Fanatiker der »Normalität«. Wenn sich etwa zahlreiche französische Bürgermeister bei ihrer Weigerung, eine Homo-Ehe zu schließen, auf das Gewissen berufen, dann steht dahinter vielmehr ein sicheres Gespür für den Angriff auf die öffentlichen Institutionen. Und sie versuchen, sich einem double bind zu entziehen.

Dennoch glaubt man offenbar, gleichzeitig Transparenz und Gerechtigkeit anrufen und offensichtliche Lügen in die Gesetzbücher schreiben zu können. Wie soll man diese Kröten schlucken? Einmal mehr durch eine Vergewaltigung der Sprache: »Vater« und »Mutter« werden aus den Gesetzen getilgt, das Fräulein [»Mademoiselle«] wird verboten, alle Funktionen – wie »Autofahrer« zu »Autofahrerinnen« – werden feminisiert. Demnächst wird die angeblich diskriminierende »Ecole maternelle« [fr. für Kindergarten] umbenannt. Wir befinden uns hier auf dem bevorzugten ideologischen Schlachtfeld. Das Ziel lautet in der unklaren Formulierung eines bekannten zeitgenössischen Intellektuellen, die Welt nicht mehr »nach dem Unterschied der Geschlechter zu organisieren«.

Das akademische Fundament hierfür sollen die gender studies liefern. Sie wiederholen teils, was seit der Antike schon bekannt war, nämlich das mögliche Vorhandensein weiblicher Züge beim männlichen Geschlecht und männlicher Züge beim weiblichen Geschlecht. Die umfassende Verneinung der Differenz sollen sie wissenschaftlich untermauern und mit einer Pseudobürgschaft versehen. Aber, ganz gleich, welche bisexuellen psychischen Dispositionen es auch immer geben mag, der Unterschied der Geschlechter bleibt. Nur mit Hilfe dieser Voraussetzung kann man alle möglichen Überschreitungen überhaupt feststellen. Er bliebe besser Gegenstand von Literatur und Film, als dass er in die Hände von Politikern fiele, die ihn mit einer modernistischen Mischung aus Toleranz und archaischem Selbsthass zu beseitigen suchen.

Sicherlich kann es befreiende Formen geben, überkommene Grenzen zu übertreten. Andere Grenzverletzungen aber wirken wie eine Injektion tödlichen Giftes. Das sind jene, die – in der Regel im Namen der Egalität – auf eine wachsende Entdifferenzierung zielen. Solche Überschreitungen, die das »Andere« auf das »Gleiche« zurückführen wollen, zerstören das langsame Voranschreiten jeglicher zivilisierender Unterscheidung. An dieser Arbeit wirkte bisher auch das Recht maßgeblich mit. Künftig wird es zur Konfusion beitragen. Huxley erwähnte die »mühsam durch Zivilisierung errungenen Hemmungen«. Ziel dieses Prozesses ist nichts anderes als der Schutz des menschlichen Individuums vor der immer neuen Versuchung, als einzelner schon ein in sich geschlossenes Ganzes sein zu wollen.

Und was die Kinder betrifft: Natürlich sind Homosexuelle in der Lage, Kinder zu erziehen. Viele tun es auch. Es ist völlig unnötig, aus Kindern Objekte ideologischer Forderungen oder gerichtlicher Klagen zu machen. Die Absurdität, homosexuellen Paaren staatlicherseits künstliche Befruchtung zu ermöglichen – zwangsläufig verbunden mit Leihmutterschaften – zeigt hingegen, dass die derzeitigen Bestrebungen rein gar nichts mit den realen Bedürfnissen realer Kinder zu tun haben.

Unsere Generation zerstört alles, was Grenzen setzt. Sie wird somit nichts mehr an die Nachkommenden weitergeben können, vor allem nicht jenen teils unergründlichen Gehalt unserer Zivilisation, der innerhalb jener Grenzen liegt. Was passiert, wenn diese Generation in den Augen der Nachfolgenden demnächst für altmodisch befunden wird? Die Flucht nach vorn wird kein Ende finden. Wissenschaftler arbeiten schon an der Herstellung männlicher Eizellen und weiblicher Spermazoiden aus Stammzellen. Das leibliche Kind homosexueller Eltern taucht als Gespenst am Horizont bereits auf. Dem werden mit scheinbar zwingender Logik weitere Forderungen folgen: »Die Homo-Ehe hat ihnen gut gefallen? Dann ist der künstliche Uterus sicher auch was für sie …!«

Schrieb Descartes nicht, der gesunde Menschenverstand sei die am weitesten verbreitete Sache der Welt? Ließ Shakespeare seinen Macbeth nicht sagen, nichts sei zu fürchten von dem, der aus dem Weibe geboren sei? Übrigens – auch das Wort »geboren« wird verschwinden müssen. »Geburt« verweist auf Ursprung, auf Weitergabe, ist Metapher für Aufbruch, Wachstum, Zukunft. Den Platz werden »Sohn« und »Tochter« – und zwar als rein administrative Zuschreibungen – einnehmen.

Wir müssen den Bürgern, die von einer derart verlogenen Sprache betäubt und von angeblichen Experten betrogen werden, die archaische Gewalt bewusst machen, die in der Beseitigung von Mutter, Vater und Geburt liegt. Zwischen Homosexuellen und Heterosexuellen scheint sich heute eine rigide Trennung aufzubauen. Dabei teilen alle dieselbe Welt. Ebenso obliegt es allen, zutiefst menschliche Institutionen wie die Ehe zu schützen, die den Verbindungen zwischen Männern und Frauen und zwischen den Generationen eine unverzichtbare Form geben. »Institution« kommt von »status«, von »sich aufrecht halten«. Diese Vertikalität ist die Metapher der menschlichen Würde, sie impliziert Verbindungen, die nur unter »Gleichen« nicht mehr bestehen.

Paul Valéry schrieb in seiner »Rede über den Fortschritt«: »Die neue Zeit wird bald einen Menschen schaffen, der durch keinerlei geistige Gewohnheit mehr mit der Vergangenheit verbunden ist. Die Geschichte wird ihm als eine Sammlung sonderbarer, nahezu unverständlicher Geschichten erscheinen, denn in seiner eigenen Gegenwart orientiert sich nichts mehr an vergangenen Vorbildern, überlebt nichts aus der Vergangenheit.« Zwar sind anthropologische Grenzen nicht so gut zu sehen wie eine Fahrbahnbegrenzung auf der Autobahn. Gleichwohl sind symbolische Grenzüberschreitungen leicht an den Schmerzen zu erkennen, die sie denen verursachen, die ihre Ohnmacht und die Wirkungslosigkeit aller Argumente gegen die sich breitmachenden Perversionen empfinden. Und sie sind an der Ausgelassenheit zu erkennen, die sie bei der Masse hervorrufen, die sich in ihrem Triumph über das Naturgemäße sowie in einem Gefühl der Allmächtigkeit suhlt.

Indes wird kein Gott hinter den Wolken hervortreten und Blitze seines Zorns auf die Erde schleudern. Zwar mögen sich unsere Vorväter im Grabe herumdrehen. Doch gilt, was bereits Freud erkannte: Dass, wer auch immer der Menschheit die Befreiung von jenen Aufgaben verhieße, die ihr die Geschlechtlichkeit auferlegt, als ein Held gefeiert würde, dem man jede noch so große Dummheit nachsieht. Die Welt wird auf die Neutralisierung der Geschlechtlichkeit und auf die Aufhebung von Herkunft vermutlich am Ende mit Indifferenz blicken. Das Neutralitätsprinzip zersetzt letztlich jeden inhaltlich begründeten Widerstand.