Das Börsenblatt hat in seiner Ausgabe Nr. 42/2015 auf Seite 129 unsere ganzseitige Anzeige zu Akif Pirinçcis Buch Die große Verschwulung und zu meinem eigenen Buch Homosexualität gibt es nicht abgedruckt. Danach kam uns zu Ohren, dass unsere Anzeige Diskussionen bis hinauf in die Geschäftsleitung ausgelöst, dass man sich aus Gründen der Presse- und Meinungsfreiheit am Ende aber für den Abdruck derselben entschieden habe. Auf der gegenüberliegenden Seite stand eine Eigenanzeige des Börsenblatts, was bereits eine Vorsichtsmaßnahme gewesen sein mag, keinen anderen Verlag mit unseren Inhalten zu kompromittieren. Nach Erscheinen verabredeten wir problemlos eine weitere Anzeige für das kundenorientierte und sehr viel auflagenstärkere Buchjournal, Ausgabe 6/2015. Dann kam Pirinçcis Auftritt in Dresden, der das Börsenblatt zu der Bitte veranlasste, diese Folgeanzeige auf meinen eigenen Titel zu beschränken und Pirinçcis Buch wegzulassen. Wir sagten zu. Eingang der Auftragsbestätigung vorgestern, Mittwoch, um 12.54 Uhr. Dann kam eine Mail, in der uns erklärt wurde, auch diese Anzeige könne nicht erscheinen, zum eigenen »Bedauern«, mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Buchhandel und nicht ohne die nötige Achtung vor der »Shitstorm« genannten Exkrementenlawine wollte man sich einem drohenden Boykott der Buchhändler natürlich nicht aussetzen. Und dann kam der zitierwürdige Verweis auf die Geschäftsbedingungen, Absatz 5:
… MVB behält sich vor, Aufträge – auch einzelne Abrufe im Rahmen eines Abschlusses – und Beilagenaufträge abzulehnen, wenn gegen das mit dem Auftrag zu bewerbende Werk ein der Anzeigenabteilung zur Kenntnis gekommener Rechtstitel vorliegt, die Anzeige oder das Advertorial offensichtlich wettbewerbswidrig ist oder deren Inhalt sonst gegen Gesetze, behördliche Bestimmungen oder die guten Sitten verstößt oder deren Veröffentlichung für MVB unzumutbar ist. Aufträge können auch zurückgewiesen werden, wenn die begründete Annahme besteht, dass durch sie die Gefühle eines nicht unerheblichen Teils der Leser verletzt werden. … Mit freundlichen Grüßen …
Wohlgemerkt bezieht sich dieses Schreiben nicht auf eine weitere Anzeige zur Bewerbung unseres Pirinçci-Titels, sondern meines eigenen Buches mit dem Titel Homosexualität gibt es nicht. Abschied von einem leeren Versprechen. Zu diesem Buch wird uns mutmaßlich ohne Kenntnis des Inhalts so unentschieden und unverbindlich wie nur irgend möglich mitgeteilt, dass (was nun eigentlich?) ein Verstoß gegen »behördliche Bestimmungen« oder die »guten Sitten« vorliege oder dass die begründete Annahme bestehe, dass durch unsere Anzeige »die Gefühle eines nicht unerheblichen Teils der Leser verletzt werden«. Es geht also um Gefühle, was dummerweise Pirinçcis These von der »großen Verschwulung« aufs Zarteste bestätigt. Chefredakteur Torsten Casimir wird von queer.de mit den Worten zitiert: »Nach den Ereignissen der vergangenen Tage wäre mir wohler, wir hätten für Pirinçcis Buch keine Verbreitungshilfe geleistet.« Schließlich hatten sich die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, der »Querverleger« Jim Baker und der ebenfalls einschlägig ausgerichtete Bruno Gmünder Verlag beschwert. Gefühle geben den Ton an, vor allem verletzte Gefühle vorhersehbarer, interessierter Herkunft. Queer.de spricht denn auch von dem »nicht weniger unsäglichen Titel Homosexualität gibt es nicht von Verlagsleiter Andreas Lombard«. Das wird mal so in den Raum gestellt, es wird genug Leute geben, die’s ohne weitere Prüfung nachempfinden können. Um dem Wesen dieser Gefühle auf die Spur zu kommen, müssen wir uns bis dato wiederum auf queer.de stützen. Dort werden »die 16 dümmsten und widerlichsten Zitate aus Die große Verschwulung« wiedergegeben, Aussagen, die cum grano salis vor zwanzig Jahren noch für selbstverständliche Banalitäten gehalten worden wären. Ein Kunde des Manuscriptum-Verlags schrieb heute: »Es graust einen geradezu vor diesem hysterisch gewordenen Land, in dem die Einheimischen zu den neuen Fremden werden.« Ich übersetze wie folgt: Es graust einen geradezu vor diesem hysterisch gewordenen Land, in dem die Normalen zu den neuen Perversen gemacht werden.